Vescore Global Market Outlook Oktober
Quantitative Investments
Kurz und bündig
- Risikoumfeld: Relevanz der Jahre 1989, 2006 und 2018 für die Gegenwart
- Konjunkturausblick: Anzeichen für eine Wachstumsstabilisierung in China
- Aktien: Aktienreduzierung geht weiter
- Anleihen: Untergewichtung bleibt bestehen
Unerbittliche US-Notenbank: Kalkuliertes Risiko oder drohende Fehlentscheidung?
In ihrer September-Sitzung überraschte die US-Notenbank Fed die Marktteilnehmer mit ihrer restriktiven Haltung. Weniger überraschend war die Entscheidung der US-Notenbank, den Leitzins im September unverändert zu belassen, sich aber die Option für eine weitere Zinserhöhung im Jahr 2023 vorzubehalten. Für den grössten Überraschungseffekt aber sorgte die korrigierte Wirtschaftsprognose für 2024, die ihrerseits zu einer Korrektur des prognostizierten Leitzinssatzes führte. Angesichts geringerer Rezessionsrisiken auf kurze Sicht geht die Fed-Prognose für das reale BIP von einer aktuellen Wachstumsrate von 5,6% aus. Folglich erscheinen Leitzinssenkungen im kommenden Jahr weniger dringlich. Dies verleiht der offiziellen Mitteilung der US-Notenbank, dass die Zinsen „länger höher“ bleiben, Glaubwürdigkeit und wird gestützt durch den FOMC, der nunmehr für das Jahr 2024 lediglich eine Senkung um 50 und nicht um die im Juni prognostizierten 100 Basispunkte vorhersagt.
Diese Prognoseberichtigungen entsprechen dem in der ersten Augusthälfte beobachteten Trend in der Marktkorrektur, insbesondere der Neubewertung der Zinserwartungen für 2024 und 2025. Fraglich ist, ob die Bereitschaft der US-Notenbank, die Zinsen „länger höher“ zu halten, als kalkuliertes Risiko bei der Inflationsbekämpfung oder aber als politische Fehlentscheidung zu bewerten ist. Unseren quantitativen Modellen zufolge sprechen die Widerstandsfähigkeit der Verbraucher1 und die relativ soliden Bilanzen systemrelevanter Banken2 eher für ein geringes Rezessionsrisiko in den kommenden Monaten. Das heisst jedoch nicht, dass das Thema Rezession vom Tisch ist, insbesondere im ersten Halbjahr 2024. Orientiert man sich an historischen Daten, dann sollte eine Rezession nach wie vor als Basisszenario in Betracht gezogen werden. Wie im August3 skizziert, nähern wir uns erst jetzt der Phase, in der eine Rezession wahrscheinlicher wird. Angesichts der unterschiedlichen verzögerten Effekte der Geldpolitik reicht das Zeitfenster für eine potenzielle Rezession in unseren Modellen bis zum Sommer 2024.
Unser Aktienallokationsmodell geht davon aus, dass „der Sand der Zeit noch rieselt und nicht strömt“. Aus diesem Grund wurde die Aktienübergewichtung in den letzten Monaten schrittweise reduziert. Die wirtschaftliche Resilienz und das Risiko einer anhaltenden Inflation4 haben eine Neubewertung der Zinserwartungen ausgelöst, worunter Anleihen gelitten haben. Unser Anleihenallokationsmodell hat diesen Trend aufgegriffen und ist seither im Bereich der Staatsanleihen untergewichtet. Analog zum Aktienallokationsmodell wird jedoch die Untergewichtung im aktuellen Sell-off langsam abgebaut. Diese Entscheidung wird auch durch unser Risikomodell gestützt, das zunehmend Parallelen zu 2006 und 2018 aufzeigt – Jahre, in denen geldpolitische Straffungszyklen – im Nachhinein betrachtet – hätten früher beendet werden müssen oder sogar als politische Fehlentscheidung zu bewerten sind.
Risikoumfeld: Relevanz der Jahre 1989, 2006 und 2018 für die Gegenwart
In unserem SDRM-Risikomodell5 bilden die späten 1980er immer noch den Zeitraum mit der höchsten Relevanz für die Bewertung des heutigen Risikoumfelds. Bei der Suche nach historischen Parallelen im Rahmen des Modells gewinnen die Jahre 2006 und 2018 jedoch zunehmend an Bedeutung. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sich einige der vom Modell beobachteten Variablen allmählich von den extremen Werten entfernen. Die Indikatoren wie der Volatilitätsindex und die Entwicklung der kurzfristigen Zinssätze sind weiterhin hoch, haben in der letzten Zeit aber mit dem Trend der Rückkehr zum Mittelwert das bisher nur aus den 1980ern bekannte extreme Niveau verlassen.
Aus diesem Grund rücken die Jahre 2006 und 2018 ins Rampenlicht, liefern sie doch wertvolle Informationen für das gegenwärtige Marktumfeld. In beiden Jahren befanden sich die USA am Ende mehrjähriger Straffungszyklen. Zugegebenermassen waren diese vergangenen Zyklen weniger aggressiv als heute und 1980. Unser Modell konzentriert sich aber auf die Entwicklung der kurzfristigen Zinssätze und weniger auf die absoluten Zahlen. Die zunehmende Ähnlichkeit mit 2006 und 2018 kann daher als Zeichen dafür gewertet werden, dass der derzeitige politische Straffungszyklus ausläuft. Bei der FOMC-Sitzung im September wurde eine erneute Zinserhöhung im Jahresverlauf nicht ausgeschlossen, es deutet jedoch vieles darauf hin, dass dies dann die letzte Erhöhung sein könnte.
5. Weitere Informationen über unser SDRM-Modell finden Sie unter:
Risikomanagement: Vorwärts auf ruhiger See, adaptiv und agil in stürmischen Phasen
6. Unser SDRM-Modell vergleicht die Vergangenheit mit dem heutigen Marktumfeld auf der Basis von Dividendenrendite, Credit Spread, TED Spread, Term Spread, kurzfristigem Zinssatz und zwei Massstäben für die Volatilität.
Konjunkturausblick: Anzeichen für eine Wachstumsstabilisierung in China
Die Global Wave7 deutet darauf hin, dass sich die Weltwirtschaft dank der Schwergewichte USA und China wieder auf dem Weg der Erholung befindet. Während die Industrieländer schon seit einiger Zeit in der Erholungsphase sind, haben sich die Schwellenländer erst seit kurzem dazugesellt. Angesichts der weiterhin angespannten globalen Liquiditätsbedingungen bleibt das Risiko eines erneuten Abschwungs mit 52% im Fall der Industrieländer und 41% bei den Schwellenländern nach wie vor hoch. In den Industrieländern schrumpft die reale Geldmenge (M1) im Jahresvergleich um –12,4%, ähnlich wie in den 1980er Jahren. Bei genauerer Betrachtung der Indikatoren zeigt sich der Bankensektor immer noch schwach, während strenge Kreditvergabestandards in wichtigen Volkswirtschaften die Wachstumsdynamik dämpfen.
Industrieländer: Europa hinkt hinterher
Bei den Industrieländern sind trotz der angespannten Liquiditätslage weiterhin Anzeichen der Erholung zu beobachten. Nachdem der meistbeachtete US-Frühindikator (ISM-Index für neue Aufträge) im Mai auf den Tiefstand vom Januar gesunken war, hat sich die Wachstumsdynamik in den USA in der letzten Zeit beschleunigt. Der Nowcast der Atlanta Fed, der die Wachstumsrate des realen US-BIP misst, liegt im September bei 5,6%. Besonders auffällig bei den Industrieländern ist die schleppende Wachstumsdynamik in Europa. Derzeit weisen nur 22% der Indikatoren in der Europäischen Währungsunion (EWU) einen sich beschleunigenden Trend auf. Unter den 50 erfassten Ländern rangiert die EWU auf den letzten Plätzen, wobei Finnland und das Schwergewicht Deutschland die schwächsten Werte verzeichnen. In Deutschland belasten sowohl der Bankensektor als auch der Immobilienmarkt mit im Jahresvergleich historisch schwachen Preisen von –5% für Wohnimmobilien die Wirtschaft.
Schwellenländer: Asien im Aufwind
Die Konjunkturmassnahmen in China zeigen endlich Wirkung. Die Geldpolitik hatte für eine gewisse Zeit einen unterstützenden Effekt, ihre Effizienz wurde aber durch die hohe wirtschaftliche Verschuldung und die aufgrund der Turbulenzen am Immobilienmarkt gestiegene Risikoaversion der Banken beeinträchtigt. Kürzlich ergriffene Massnahmen, wie die Lockerung der Vorschriften für den Wohnungsbau in mehreren Regionen und die Erhöhung der Staatsausgaben, könnten dieses Mal den Ausschlag geben. Der hohe Wohnungsbestand und der mittelfristige Plan der Regierung zum Abbau der wirtschaftlichen Verschuldung sprechen gegen eine starke und eher für eine moderate Erholung. Eine weitere wichtige Beobachtung in diesem Monat ist die nachlassende Wachstumsdynamik in Lateinamerika, insbesondere in Brasilien und Mexiko. Die aggressive Straffung der Geldpolitik in den Jahren 2022–2023 scheint allmählich zu Lasten des Wachstums in beiden Ländern zu gehen.
7. Weitere Informationen finden Sie unter „Die Vescore Wave – ein überlegenes Konjunkturmodell“
.Aktien: Aktienreduzierung geht weiter
Im Laufe der letzten Wochen hat unser Aktienallokationsmodell GLOCAP seine Aktienquote weiter verringert (siehe Abbildung 4). Diese Entwicklung folgt auf die Aufrechterhaltung einer maximalen Aktienquote bis Ende Juni 2023. Im Vergleich zum Vormonat wurde die Reduzierung in erster Linie durch Änderungen im TED und Term Spread verursacht, wobei letzterer den Löwenanteil ausmacht. Der negative Effekt der Dividendenrendite hat sich seit August verringert und somit die durch die anderen beiden Faktoren ausgelöste Aktienreduzierung abgemildert.
Angesichts der in letzter Zeit positiven Entwicklung im Aktienbereich kann die Reduzierung des Modells als eine Form der partiellen Gewinnmitnahme angesehen werden. Ein typisches Beispiel hierfür ist der Term Spread. Stärkere US-Wirtschaftsdaten im September führten zu einer Normalisierung der inversen Renditekurve, was zu einem geringeren Allokationsbeitrag des Term Spread führte. Darüber hinaus spiegeln ein engerer TED Spread, sinkende Dividendenrenditen und ein geringerer Credit Spread auch das allgemein positive Risikoumfeld von Ende August bis September wider.
Anleihen: Untergewichtung bleibt bestehen
Unser Anleihenallokationsmodell hat die Anleihenuntergewichtung weiter verringert und sie angesichts günstiger werdender Anleihen effizient reduziert. Die Dynamik trägt am stärksten zur Untergewichtung bei, allerdings in abnehmendem Masse, wie Abbildung 4 zu entnehmen ist. Geografisch bleibt das Modell bei einer Untergewichtung von 9% im Fall der USA und Kanadas. Eine Ausnahme stellt das Vereinigte Königreich dar, wo unser Modell derzeit eine leichte Übergewichtung vorsieht.
In allen im Modell abgedeckten Ländern – mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs – haben sich die Zinsstrukturkurven nach oben verschoben und spiegeln die sich verbessernde Wirtschaftslage in den Industrieländern wider. Geringere Rezessionsrisiken in Ländern wie den USA haben zu einer Neubewertung der Zinserwartungen für 2024 und 2025 geführt. In den USA wurden die Erwartungen für eine Lockerung im Jahr 2024 auf gerade mal 50 Basispunkte nach unten korrigiert. In der Zwischenzeit hat sich die US-Notenbank in der September-Sitzung auf ihrem restriktiven Kurs die Möglichkeit einer weiteren Zinserhöhung im laufenden Jahr vorbehalten.
Ausgewähltes Thema: Fortschritt und Vorsicht in Einklang bringen
Der andauernde Kampf der US-Notenbank gegen die Inflation
Die US-Notenbank weist zu Recht auf die bisher erzielten Fortschritte bei der Inflationsbekämpfung hin. Gleichwohl betont sie konsequent, dass es zu früh sei, schon jetzt von einem Sieg über die Inflation zu sprechen. In einem Research-Bericht zu Beginn dieses Jahres haben sich mehrere Faktoren herauskristallisiert, die die Inflation dieses Mal hartnäckiger machen und die Zentralbanken für einen längeren Zeitraum in Atem halten könnten8. Zu diesen Faktoren zählen die schwindenden Aussichten auf haushaltspolitische Sparmassnahmen, da sich die Regierungen mit Herausforderungen wie erhöhten Militärausgaben, steigenden Gesundheitskosten aufgrund einer alternden Bevölkerung und dem Übergang zu erneuerbaren Energien konfrontiert sehen. Unsere Analyse im letzten Monat hat bestätigt, dass die Staatsausgaben in grossen Volkswirtschaften tatsächlich steigen9. Die Geschichte lehrt uns, dass eine erfolgreiche Bekämpfung der Inflation oftmals eine Kombination von straffer Geldpolitik und umsichtiger Haushaltsführung erfordert.
Lehren aus der Geschichte und Zukunftsprognosen
Unsere statistische Analyse des Inflationsverlaufs nach Spitzenwerten ergab folgende Schlussfolgerungen:
- Generell fällt die Inflation relativ schnell nach dem Erreichen von Höchstständen.
- Je höher der Spitzenwert, desto langsamer der Inflationsrückgang.
- Nach dem Erreichen hoher Spitzenwerte stabilisiert sich die Inflation oftmals auf höherem Niveau als vor dem Anstieg.
Angesichts der relativ hohen Spitzenwerte der Inflation ist das Risiko, dass die Inflation in absehbarer Zukunft nicht auf bzw. unter das Zielniveau fällt, beträchtlich. Abbildung 510 zeigt, dass die USA seit den Höchstwerten im Jahr 2022 besser dastehen als aufgrund der historischen Trends zu vermuten war11. Eine nachhaltige Rückkehr zum Zielniveau ist jedoch alles andere als sicher, was für Investoren erhebliche Konsequenzen birgt12. Faktoren wie der jüngste Anstieg der Rohstoffpreise und die oben genannten strukturellen Inflationstendenzen könnten den Rückgang der Inflation eindämmen. Oder – wie meine Kollegen es ausdrücken würden – diese Faktoren könnten eine zweite Inflationswelle auslösen13.
8. Siehe unter
Six reasons why inflation may feel like gum on your shoe
. (Sechs Gründe, warum die Inflation scheinbar wie Kaugummi an den Schuhen klebt)
9. Siehe die
September Ausgabe
unseres Global Market Outlook.
10. In diesem Diagramm analysieren wir die Inflationsdaten in zehn Industrieländern seit 1910 (soweit diese Daten vorliegen). Auf diese Weise können wir die Inflationsentwicklung über 166 Inflationsspitzen untersuchen.
11. Fortschritte für Industrieländer im Allgemeinen sind eher begrenzt. Die magentafarbene Linie zeigt, dass der Fortschritt (bestenfalls) den auf historischen Daten basierenden Annahmen entspricht. Japan ist der Grund dafür, dass die Zeitreihe früher endet als die US-Zeitreihe. Japan verzeichnete den Höchstwert erst vor sechs Monaten, daher endet die Zeitreihe für Industrieländer sechs Monate danach.
12. Eine
Research-Studie aus dem Jahr 2022
ergab, dass eine anhaltende Inflation zu einer stärkeren Volatilität der Zinssätze, der Finanzmärkte und des Konjunkturzyklus sowie zu einer dauerhaft positiven Korrelation von Aktien- und Anleiherenditen führen kann.
13. Siehe unter
Wie wahrscheinlich ist die gefürchtete „zweite Inflationswelle"?
1. Siehe
Juli-Ausgabe des GMO
.
2. In der
April-Ausgabe des GMO
haben wir anhand unseres Modells für die Anfälligkeit des Bankensektors in den Industrieländern gezeigt, dass die systemischen Risiken seit der Weltfinanzkrise 2007/08 deutlich zurückgegangen sind.
3. In der
August-Ausgabe des GMO
haben wir dargelegt, dass die meisten unserer Modelle darauf hindeuten, dass wir uns langsam der Phase nähern, in der eine Rezession wahrscheinlicher wird.
4. Siehe aktuelles Thema dieser Ausgabe „Fortschritt und Vorsicht in Einklang bringen”.
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