Vescore Global Market Outlook Mai 2023
Quantitative Investments
Kurz und bündig
- Rückläufige Volatilität am Anleihenmarkt
- China führt erneut den Zyklus an
- Weniger angespannter Bankensektor stützt Aktien
- Höhere Wahrscheinlichkeit einer Fed-Kurswende positiv für Aktien
- Aktuelles Thema: Gold dürfte steigen, wenn auch mit vorübergehenden Rückschlägen
Silberstreifen für die sich verdüsternde US-Wirtschaft – kommt die Fed-Kurswende?
Als die erste Version von ChatGPT Ende November 2022 veröffentlicht wurde, habe ich das Tool zunächst ignoriert. Doch als der Economist plötzlich behauptete, dass «ChatGPT Telefonverkäufer, Lehrkräfte und Trader überflüssig machen könnte»1, wurde ich schliesslich neugierig. Mein anfängliches Desinteresse war hauptsächlich in dem Zweifel begründet, dass eine Maschine einen qualitativ hochwertigen und für echte Anleger wirklich nützlichen Research-Bericht erstellen könnte. Und obwohl ich mir keineswegs Sorgen machte, dass eine Maschine mir allzu bald meinen Job wegnehmen könnte, verspürte ich doch eine gewisse Schadenfreude, als ChatGPT sehr oberflächlich blieb, wenn man die Software etwa fragte: «Wie sieht der Ausblick für Aktien oder Anleihen bis zum Jahresende aus?» Anstatt eine echte Antwort zu formulieren, spuckte die Maschine nur abstrakte Gemeinplätze aus, bevor sie mit dem Rat, vor dem Anlegen zunächst einen Finanzprofi zu konsultieren, zum Abschluss kam. Selbst nachdem ich die Frage mit ein paar wirtschaftlichen oder finanziellen Annahmen angepasst hatte, blieben die Antworten unpräzise – und ehrlich gesagt völlig nutzlos.
Als ich die Software nach der Wirtschaftsprognose für China für das Jahr 2023 fragte, war ChatGPT schon etwas hilfreicher. Trotz höherem Nutzen doch, war der Inhalt jedoch veraltet, da die Maschine (zumindest bislang) keinen Zugriff auf aktuelle Daten hat. Darüber hinaus bleibt ChatGPT völlig undurchsichtig, da sich die Antworten, die man erhält, nicht zu den Quellen und Annahmen zurückverfolgen lassen, auf denen sie beruhen.
Ich setze daher also vorerst weiter auf unsere bewährten Quant-Modelle, wenn ich einen Ausblick für ein Land oder eine Anlageklasse haben möchte. Die können ihre Storys zwar nicht in schicke Formulierungen packen, sind jedoch vollständig transparent und ich kann mir sicher sein, dass die Ergebnisse stets auf den aktuellsten verfügbaren Daten basieren.
Aktuell deutet unser Geschäftszyklusmodell Wave auf eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung hin – nicht nur in China, sondern in der gesamten APAC-Region. Im Kontrast dazu steht das unvermindert hohe Rezessionsrisiko einiger Industrieländer, etwa der USA.
Gleichwohl hält unser Aktienallokationsmodell an der Übergewichtung von Aktien fest. Der Hauptgrund ist, dass Modellkomponenten wie der Zinsstruktur-Spread auf eine bevorstehende Wende der Fed-Politik hindeuten, die Anlegern ermöglicht, über die aktuellen Rezessionsrisiken hinauszublicken – vorausgesetzt, dass die konjunkturellen Schwierigkeiten, die in diesem Jahr noch kommen dürften, nur vorübergehend und begrenzt sind. Wie unser Aktienallokationsmodell geht auch unser Anleihenallokationsmodell davon aus, dass eine Kurswende bevorsteht, und plädiert für eine leichte Übergewichtung in Anleihen, wobei das «Momentum» aktuell die Haupttriebkraft des Modells darstellt.
1. Published on 14th April 2023 as an online article.
Risikoumfeld: Rückläufige Volatilität am Anleihenmarkt
Seit der Druck im Bankensektor Mitte März dieses Jahres seinen Höhepunkt erreichte, hat die Volatilität am Finanzmarkt abgenommen. Während sich die Volatilität am Aktienmarkt auf dem tiefsten Stand seit Ende 2021 befindet, geht auch die Anleihenvolatilität zurück, ist im historischen Vergleich aber weiter erhöht. Auf der einen Seite machen Risse im Bankensektor eine Kurswende der Fed-Politik wahrscheinlicher. Auch der jüngste Rückgang der US-Gesamtinflation auf fünf Prozent spielte eine Rolle. Obwohl es gute Argumente für eine rückläufige Anleihenvolatilität gibt, spricht die hartnäckige Kerninflation gegen eine baldige Rückkehr der Renditen auf das Niveau von Anfang 2021. Viel wird davon abhängen, ob es in den USA zu einer Rezession kommt und wie schwer sie ausfallen wird. Eine weiche Landung ist im Allgemeinen eine gute Neuigkeit, doch sie könnte eine geringere Lockerung bedeuten, als aktuell eingepreist ist, wodurch die Anleihenvolatilität hoch bleiben würde.
Eine gewisse Unsicherheit bleibt auch in unseren Modellen, die für den Moment nicht in der Lage sind, eine überdurchschnittlich hohe Marktvolatilität auszuschliessen, da eine US-Rezession in den nächsten Quartalen weiterhin ein Basisszenario ist.2 Unser Risikomodell SDRM vergleicht das aktuelle Umfeld hartnäckig mit den späten 1980er-Jahren – eine Phase, die von einem extrem aggressiven geldpolitischen Straffungszyklus geprägt war. Im Verlauf der späten 1970er- und 1980er-Jahre erhöhte die Fed den Leitzins um fast zwanzig Prozentpunkte, was zum Ausfall von rund 30 Prozent aller US-amerikanischen Savings-and-Loans-Sparkassen führte und 1990 in einer Rezession mündete. Wie wir im vergangenen Monat bereits hervorgehoben haben,3 kann neuerlicher Druck im Bankensektor im weiteren Verlauf des Jahres nicht ausgeschlossen werden – je nachdem, welchen Kurs die Fed einschlagen wird. Allerdings hat die Anfälligkeit des Bankensektors seit der globalen Finanzkrise abgenommen, sodass eine ausgewachsene Krise des Sektors weniger wahrscheinlich ist.
2. We tried to come up with a figure based on statistical evidence of 10 developed countries since the 1950s in our report “
What do our models think about US recession risks?
”.
3. See “
Vulnerabilities in the banking sector are below historical averages
” in the April 2023 edition of the Global Market Outlook.
Wirtschaftsprognose: China führt erneut den Zyklus an
Die Turbulenzen im Bankensektor im März in den USA und einigen anderen Industrieländern haben im Wave-Modell4 für die Industrieländer Spuren in Gestalt eines erneuten Rückgangs hinterlassen. Dieser Einbruch ist für uns wenig überraschend, da das Prognoseelement von Wave, unser «Transition»-Modell, diesen erneuten Rückgang recht präzise vorausgesagt hat. Hauptgrund für die Skepsis unseres Modells ist die anhaltende Liquiditätsstraffung, die am Realwachstum der Geldmenge M1 gemessen wird. Dieses ging gegenüber dem Vorjahr um zehn Prozent zurück – die geringste Wachstumsquote seit den 1980ern. Anders als die Industrieländer sind die Schwellenländer in die Expansionsphase eingetreten, was sich auf die stärkere Wachstumsdynamik der Region APAC und eine lockerere Geldpolitik zurückführen lässt. Trotz der deutlichen Unterschiede zwischen dem Wave-Modell für die Industrie- und die Schwellenländer steht das globale Modell weiter auf Erholung. Gleichwohl bleibt das Risiko eines erneuten globalen Rückgangs (47%) weiter hoch.
Industrieländer: Höheres Risiko einer Kreditkrise
Im Hinblick auf die Industrieländer betrachten wir drei Beobachtungen als wichtig. Erstens scheinen die Arbeitsmärkte sich abzukühlen – die Arbeitsmarktkomponente von Wave sinkt deutlich von 52 auf 26 Prozent.5 In den USA zum Beispiel deuten Einstellungspläne und die Zahl der befristeten Arbeitsverträge und der Erstanträge auf Arbeitslosengeld darauf hin, dass die Beschäftigung ausserhalb der Landwirtschaft, der wichtigste Indikator für den US-Arbeitsmarkt, in den kommenden Monaten innerhalb kurzer Zeit einbrechen könnte. Zweitens hinterlassen die jüngsten Turbulenzen im Bankensektor ihre Spuren in der Wave-Komponente «Banking», die für die Industrieländer um vier Prozent zurückgegangen ist. Am stärksten betroffen scheinen die USA zu sein, da die US-Wave wieder auf Rückgang steht. Das führt uns zu der dritten wichtigen Beobachtung in diesem Monat: Die unterschiedliche Wachstumsdynamik in den USA und Europa. In Europa ist in den meisten Ländern eine erhebliche Verbesserung der Wachstumsdynamik zu erkennen (Deutschland, Grossbritannien, Frankreich, Spanien, Belgien und Irland). Besonders im Konsum- und Dienstleistungssektor hellt sich die Stimmung weiter auf.
Schwellenländer: APAC erwacht
Die Wave für die Schwellenländer bewegte sich im April dank der starken Wachstumsdynamik der asiatischen APAC-Länder in den Expansionsbereich; dabei verzeichneten China (+16 Prozentpunkte) und Taiwan (+6 Prozentpunkte) die grössten Wave-Zunahmen. Die lockeren geldpolitischen Bedingungen in Kombination mit der Aufhebung der Lockdown-Massnahmen führen endlich zu einer weitläufigen Verbesserung der Wachstumsdynamik. Selbst der angeschlagene chinesische Immobilienmarkt zeigt klare Anzeichen einer Verbesserung, da alle Marktsegmente (Investition, Bau und Verkauf) die Talsohle erreicht zu haben scheinen. Das reale BIP-Wachstum im ersten Quartal 2023 überraschte mit 4,5 Prozent Wachstum gegenüber dem Vorjahr positiv.
4. For further inside into the Wave business cycle model we refer to our white paper “
The Vescore Wave – a superior business-cycle model
”
5. The Wave is measured in percent. The percentage refers to the share of indicators currently gaining momentum. Therefore, a drop to 26% means that less indicators (now only 26%) are currently improving (gaining momentum).
Aktien: Abklingender Druck im Bankensektor stützt Aktien
Die Marktvolatilität nahm im März aufgrund der Turbulenzen im Bankensektor zu. Allerdings änderten die Anleger rasch wieder ihre Meinung. Grund dafür sind die verminderten Schwachstellen im Bankensektor6 seit der globalen Finanzkrise, die implizite Einlagengarantie der US-Regierung und die Liquiditätsspritze der Fed für Banken gegen qualitativ hochwertige Wertpapiere (zum Nennwert), was die Volatilität wieder abflauen liess.
6. See the April 2023 version of the Vescore Global Market Outlook.
Anleihen: Hoffnungen auf Fed-Kurswende sorgen für Rückenwind
Unser Anleihenallokationsmodell begann die Allokation zu erhöhen, als der der Druck im US-Bankensektor Mitte März seinen Höhepunkt erreichte. Der Grund dafür ist, dass die Risse im US-Bankensektor eine geldpolitische Lockerung wahrscheinlich machen, da die Risiken einer Kreditkrise und einer Rezession zunehmen7. Letztendlich sind fallende Zinsen positiv für Anleihen.
Die zunehmende Wahrscheinlichkeit einer geldpolitischen Lockerung wurde über die «Momentum»-Komponente erfasst, die Teil unseres Anleihenallokationsmodells ist. Die anderen Modellkomponenten wie «Term Spread» und «Mean Reversion» bleiben neutral ohne grösseren Beitrag zur Allokation.
7. In “ What do our models think about US recession risks? ” we concluded since late last year that US recession risks are well above 50% for 2023.
Aktuelles Thema: Gold dürfte steigen, wenn auch mit vorübergehenden Rückschlägen
Obwohl der Goldpreis Mitte April 2023 im Vergleich zu vor drei Jahren bereits fast Rekordniveau erreichte, dürfte er sich in den kommenden Monaten weiter positiv entwickeln. Geringere Renditen, ein schwächerer US-Dollar und Unsicherheiten im Finanzsektor bildeten Anfang März ein ideales Umfeld für steigende Goldpreise. Kurzfristig könnte es allerdings zu einigen Preiskorrekturen kommen, da der Markt einen Fed-Kurswechsel vielleicht etwas voreilig eingepreist hat, weshalb der Goldpreis etwas überzogen scheint. Darüber hinaus ist der US-Dienstleistungssektor nach wie vor solide, Mitglieder der Fed deuten immer wieder einen restriktiveren Kurs an und die Turbulenzen im Bankensektor haben nicht auf andere Bereiche übergegriffen. Daher kann es gut sein, dass der Goldpreis einige seiner jüngsten Zugewinne wieder abgeben muss, was interessante Einstiegspunkte für Anleger schaffen kann. Grundsätzlich dürfte Gold weiter auf Erfolgskurs bleiben. Die Gründe dafür sind wie folgt:
1. Geldpolitische Lockerung
Aufgrund geringerer Inflationserwartungen und niedrigerer Energiepreise könnte die Fed sich entschliessen, in ihrem Zinserhöhungszyklus im Sommer eine Pause einzulegen. Sollte die Fed eine konjunkturelle Abschwächung erkennen, könnte sie in der zweiten Jahreshälfte sogar Zinssenkungen vornehmen. Niedrigere Zinsen bedeuten geringere Opportunitätskosten für das Halten von Gold, was sie langfristig zum wichtigsten Treiber des Goldpreises macht.
2. Rezessionsrisiken bleiben
Bis die Fed tatsächlich die Zinsen senkt, könnte der Markt eine höhere Rezessionswahrscheinlichkeit in den USA einpreisen, was die Nachfrage nach sicheren Häfen wie Gold erhöhen dürfte.
3. Schwächung des US-Dollar wahrscheinlich
Ein schwächerer US-Dollar ist günstig für alle in USD gehandelten Rohstoffe, da ihr Kauf schlichtweg weniger teuer wird. Das gilt besonders für Gold. Die Europäische Zentralbank befindet sich in einer anderen Situation als die Fed, da die Inflation sich als hartnäckiger erweist und Gewerkschaften für höhere Löhne kämpfen. Sie muss gegebenenfalls die Zinsen erhöhen, während die Fed ihren Erhöhungskurs bereits pausiert oder sogar zurückrudert, was den USD gegenüber dem EUR weiter schwächen dürfte.
4. Höheres US-Kreditrisiko
Einen weiteren positiven Faktor für Gold stellt die Verschärfung der Diskussion um die Schuldenobergrenze in den USA dar. Die nahende Frist und der schleppende Fortschritt könnte auf dem Markt für US-Treasuries ein gewisses Kreditrisiko bedeuten, was für Gold als alternativen sicheren Hafen günstig sein dürfte.
5. Steigende physische Nachfrage
Gleichzeitig ist die physische Nachfrage nach Gold unverändert hoch. Die Zentralbanken haben letztes Jahr Rekordmengen an Gold gekauft, und auch zu Beginn dieses Jahres beobachten wir hohe Verkaufszahlen. Darüber hinaus steigt mit der Wiedereröffnung Chinas die Nachfrage nach Schmuck. Der einzige Nachfragefaktor, der noch verhalten bleibt, sind ETF-Goldbestände (die auf Drei-Jahres-Tiefs verharren). Jüngst waren kleinere Zuflüsse zu beobachten. Sollten diese anziehen, könnte der Goldpreis steigen.
Wichtige Informationen: Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein verlässlicher Indikator für die aktuelle oder zukünftige Wertentwicklung. Indizes werden nicht verwaltet; es werden keine Gebühren oder Kosten berücksichtigt; und man kann nicht direkt in einen Index investieren. Alle hierin enthaltenen Prognosen oder zukunftsgerichteten Aussagen beruhen auf einer Vielzahl von Schätzungen und Annahmen. Es kann nicht garantiert werden, dass die Schätzungen oder Annahmen bezüglich der zukünftigen finanziellen Leistung von Ländern, Märkten und/oder Investitionen sich als richtig erweisen, und die tatsächlichen Ergebnisse können erheblich abweichen. Die Aufnahme von Projektionen oder Prognosen ist nicht als Hinweis darauf zu verstehen, dass Vontobel die Projektionen oder Prognosen als verlässliche Vorhersagen zukünftiger Ereignisse betrachtet, und sie sollten nicht als solche betrachtet werden. Diversifikation und/oder Asset Allocation garantieren weder einen Gewinn noch eliminieren sie das Risiko von Anlageverlusten. Vontobel behält sich das Recht vor, die hierin enthaltenen Informationen und Meinungen jederzeit und ohne Vorankündigung zu ändern und zu korrigieren. Dieses Dokument dient ausschliesslich zu Informationszwecken und stellt weder ein Angebot noch eine Aufforderung oder Empfehlung zum Kauf oder Verkauf von Anlageinstrumenten, zur Tätigung von Transaktionen oder zum Abschluss von Rechtsgeschäften irgendwelcher Art dar.