Vescore Global Market Outlook Juni 2023

Quantitative Investments
Artikel 7 Minuten

Kurz und bündig

  • Die Risiken an den Aktien- und Anleihemärkten zeigen in unterschiedliche Richtungen
  • Die Weltwirtschaft ist überraschend widerstandsfähig
  • Die Aktienübergewichtung bleibt weitgehend unberührt von den Turbulenzen um die Schuldenobergrenze
  • Bei Anleihen ist noch keine positive Positionierung angezeigt
  • Aktuelles Thema: Könnte sich der Immobilienmarkt als die Achillesferse der Weltwirtschaft erweisen?


Ruhe bewahren und an Aktien festhalten

Nach gängiger Meinung dürfte der US-Kongress noch vor Ablauf der Frist eine Einigung in der Schuldendebatte erzielen. Doch je näher der Stichtag rückt, desto nervöser werden die Märkte, insbesondere wenn die Frist wie 2011 ohne Lösung verstreichen sollte. Auch damals zahlte die Regierung die Coupons, aber sie kürzte auch die Gehaltschecks der Senatoren, was diese schnell wieder an den Verhandlungstisch brachte, und die Schuldenobergrenze wurde angehoben. Aus diesem Grund sind wir im Hinblick auf den bevorstehenden Termin für die Verhandlungen über die Schuldenobergrenze momentan relativ entspannt. Unser Aktienallokationsmodell empfiehlt eine übergewichtete Aktienposition. Die hohe Wahrscheinlichkeit eines geldpolitischen Kurswechsels der Fed treibt die Übergewichtung durch einen hohen Beitrag des Term Spread an. Auch das Konjunkturmodell Wave unterstützt dieses Ergebnis und bestätigt die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit sowie das geringe Risiko einer kurzfristigen Rezession.

 

Risikoumfeld: Risiko an den Aktien- und Anleihemärkten zeigt in unterschiedliche Richtungen

Die Abweichung zwischen der Volatilität an den Anleihemärkten (Move-Index) und an den Aktienmärkten (VIX-Index) bleibt auf historisch hohem Niveau. Zwar ist der VIX-Index auf 16 Prozent gesunken und bewegt sich wieder auf dem Niveau von vor 2022, doch der Move-Index signalisiert nach wie vor erhöhte Risiken aufgrund der anhaltend hohen Volatilität. Ruhe bleibt am Anleihemarkt weiterhin ein Fremdwort, da die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit in Kombination mit der hartnäckigen Kerninflation die Antwort auf die Frage, ob die Fed wirklich noch in diesem Jahr zu einer lockeren Geldpolitik übergehen kann, mit grosser Unsicherheit belastet.

Die Ungewissheit bleibt auch im Rahmen unserer Modelle bestehen, die nach wie vor die Möglichkeit nicht ausschliessen können, dass die Marktvolatilität auch in Zukunft überdurchschnittlich hoch sein wird. In den letzten Quartalen war der Vergleich des aktuellen Risikoumfelds mit demjenigen der späten 1980er-Jahre in unserem SDRM-Modell absolut zutreffend. Damals löste ein aggressiver Straffungszyklus eine umfassende Kreditkrise aus, die zum Ausfall vieler Spar- und Darlehenskassen führte. Auch wenn die Zahl der Banken, die 2023 bisher zahlungsunfähig geworden sind, gering ist, könnten zu einem späteren Zeitpunkt weitere regionale Banken in den USA folgen, die mit Gewerbeimmobilien überladen sind. Allerdings scheinen die Risiken für den Bankensektor auf systemischer Ebene begrenzt zu sein, da die Bankenregulierung in den 2010er-Jahren zu einem Abbau von Fremdkapital bei systemrelevanten Banken geführt hat1. Das bedeutet, dass selbst wenn die Möglichkeit weiterer Ausfälle im Bankensektor besteht, diese auf bestimmte Bereiche des Sektors beschränkt bleiben dürften.

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1. Siehe « Anfälligkeit des Bankensektors unter historischem Durchschnitt » in der Ausgabe des Global Market Outlook vom April 2023.

Wirtschaftsausblick: Überraschend widerstandsfähige Wirtschaft

Unser globales Konjunkturmodell Wave befindet sich weiterhin im Aufschwung. Nur 24 Prozent der 50 erfassten Länder verzeichnen noch einen Abschwung – der geringste Anteil seit August 2022. Oder anders ausgedrückt: Der Anteil der Länder, die sich im Aufschwung oder sogar in der Expansion befinden, nimmt weiter zu2. Zudem nimmt auch die Zahl der Wave-Sektoren zu, die sich erholen. In den vergangenen Monaten haben sich alle Wave-Segmente verbessert mit Ausnahme der Aktivitäten im Bankensektor. Obwohl das gute Nachrichten sind, schrumpft die reale Geldmenge im Jahresvergleich um 6 Prozent, wodurch die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Abschwungs bei 50 Prozent liegt.

Entwickelte Märkte: Wohnungsmarkt sorgt für wirtschaftliche Schwierigkeiten

Angesichts des historisch hohen Tempos der realen Liquiditätsverknappung in den entwickelten Märkten ist deren wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit überraschend, insbesondere in Europa. Die Daten zur konjunkturellen Stimmung haben sich in den letzten Monaten erholt, und die Arbeitsmärkte bleiben in den meisten G7-Ländern auf einem historischen hohen Auslastungsniveau. Mit Ausnahme von Italien liegen die Arbeitslosenquoten weiterhin nahe bei einem 30-Jahres-Tief. In den USA ist die Arbeitslosenquote sogar so niedrig wie seit 50 Jahren nicht mehr. Doch andere Komponenten unseres Konjunkturmodells deuten immer noch auf wirtschaftliche Risiken für die zweite Hälfte des Jahres 2023 sowie eine mögliche Rezession in diesem oder im nächsten Jahr hin. Insbesondere die schwache Aktivität im Bankensektor und auf dem Wohnungsmarkt in Verbindung mit der Verknappung der Liquidität könnte sich als Achillesferse vieler Volkswirtschaften erweisen, was dazu führen könnte, dass sich die globale Wave in den kommenden Monaten wieder verschlechtert. Bankenwesen und Wohnungsmarkt sind Sektoren, die besonders zins- und liquiditätsempfindlich sind. Daher liegt die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Kontraktion weiterhin bei 50 Prozent.

Schwellenländer: Das Erwachen der APAC-Region

Die Schwellenländer-Wave bleibt im Aufschwung, wobei Asien den globalen Konjunkturzyklus anführt. Obwohl die Daten aus China in letzter Zeit etwas schwächer ausfielen und die Chinese Wave nach Monaten erstaunlicher Wachstumsbeschleunigung im Mai ins Stocken geriet, konnte Taiwan die Dynamik im letzten Monat aufrechterhalten und die Wave um weitere 8 Prozentpunkte steigern. Im Unterschied zu den entwickelten Märkten erholt sich der Wohnungssektor in den Schwellenländern, insbesondere in China. Aus diesem Grund haben die chinesischen Behörden wenig Anreiz, die geldpolitischen Massnahmen weiterzuführen, die sich bereits in einer Verbesserung der chinesischen Liquidität bemerkbar gemacht haben.

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2. Weitere Informationen über das Wave-Konjunkturmodell finden Sie in unserem Whitepaper « Die Vescore Wave – ein überlegenes Konjunkturmodell ».

Aktien: Positionierung eher unbeeinflusst von Debatte um die Schuldenobergrenze

Die Volatilität an den Aktienmärkten hat Ende Mai leicht zugenommen, da der Termin für die Festsetzung der Schuldenobergrenze in den USA näher rückt. Doch dieser Anstieg der Marktvolatilität führte nur zu einer vernachlässigbaren Verringerung der starken Übergewichtung von Aktien, die wir in unserem Aktienallokationsmodell beibehalten. Schon mehrmals haben sich die USA dem Termin ohne Einigung genähert, und der Kongress hat schliesslich doch noch eine Lösung erzielt und die Schuldenobergrenze erhöht. Die statistischen Daten deuten daher darauf hin, dass der Marktstress möglicherweise vorübergehend zunimmt und eine Einigung schliesslich einen schnellen Aufschwung auf dem Aktienmarkt auslösen würde.

Der Hauptgrund für die beträchtliche Übergewichtung ist nach wie vor der Term Spread. Dieser beruht auf der Annahme, dass die nahende Deadline für die Schuldenobergrenze zu einer zumindest vorübergehenden Straffung des Staatshaushalts führen könnte, was wiederum die Wahrscheinlichkeit eines Kurswechsels der Fed in den kommenden Monaten erhöhen würde. Der negative Beitrag des TED Spread, eines Indikators für die Liquidität im Bankensektor, kehrte auf nahezu null zurück, da die Anspannung im Bankensektor in den letzten Monaten nachgelassen hat.

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Anleihen: Modelle weiterhin neutral

Unser Anleihenallokationsmodell ist nach wie vor noch nicht bereit, eine deutliche Position einzunehmen, und bleibt neutral. Einerseits ist die Annahme eines Kurswechsels der US-Notenbank weiterhin günstig für Anleihen, und der Futures-Markt preist bereits eine Zinssenkung in den USA im Laufe dieses Jahres und acht Zinssenkungen um 25 Basispunkte bis 2024 ein. Andererseits belastet die hartnäckige Kerninflation in den USA die Anleihen weiterhin stark. Diese gegensätzlichen Kräfte ergeben eine negative Momentum-Komponente im Modell, wodurch die leicht positiven Beiträge der Mean-Reversion- und Carry-Komponenten aufgehoben werden.

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Aktuelles Thema: Erweist sich der Immobilienmarkt als die Achillesferse der Weltwirtschaft?

Die Aktivität auf dem Wohnungsmarkt bleibt in Kombination mit einem schwankenden Bankensektor die Schwachstelle in unserem Konjunkturmodell Wave. In diesem Artikel stellen wir die Wohnbautätigkeit in eine historische Perspektive, um beurteilen zu können, ob ein Szenario wie damals während der grossen Finanzkrise von 2007/08 wahrscheinlich ist.

Abbildung 5 zeigt die Wohnungsbautätigkeit in den Schwellen- und Industrieländern. Unser Aktivitätsindikator umfasst folgende vier Variablen3:

  1. Jährliches Wachstum der Wohnimmobilienpreise
  2. Jährliches Wachstum der Investitionen in Wohnimmobilien
  3. Jährliches Wachstum der Haus- und Wohnungsverkäufe
  4. Jährliches Wachstum der Hypothekenzinsen

Anhand dieser Indikatoren können wir die Aktivität aus verschiedenen Blickwinkeln analysieren, was uns zu zwei Beobachtungen veranlasst: Erstens ist die Aktivität in beiden Regionen historisch schwach und liegt nahe dem Niveau von 2007/08 während der US-Wohnungsmarktkrise. Zweitens: In den Schwellenländern erholt sich der Aktivitätsindikator bereits. Vor allem der chinesische Immobilienmarkt ist laut Wave auf einem Tiefpunkt angelangt. Eine genauere Betrachtung der einzelnen Länder zeigt, dass die schwächsten Aktivitäten in Skandinavien, Australien und Neuseeland zu verzeichnen sind. Wir haben in mehreren Publikationen auf die relativ hohe Wahrscheinlichkeit einer bevorstehenden Rezession hingewiesen, auch wenn die soliden Wirtschaftsdaten deren Beginn wahrscheinlich eher auf das nächste Jahr verschoben haben4. Aus den oben genannten Beobachtungen geht jedoch klar hervor, dass eine anhaltende Verschlechterung des Immobilienmarkts nicht nur Ängste vor einer Rezession schüren, sondern auch deren Entwicklung beschleunigen könnte.

Gleichwohl gibt es gute Gründe für die Annahme, dass die schwache Aktivität auf dem Wohnungsmarkt keine ähnlichen Folgen haben wird wie 2007/08. Erstens ist das Aktivitätsniveau in Schlüsselländern wie den USA und der EWU derzeit nicht besorgniserregend. Zweitens sind, wie vor zwei Monaten gemeldet, die Bilanzen der systemrelevanten Banken in den Industrieländern viel solider als während der grossen Finanzkrise5. Drittens gibt es in den Schlüsselländern keine eindeutigen Anzeichen für einen Angebotsüberschuss am Wohnungsmarkt, der einen Abwärtsdruck auf die Preise ausüben könnte. Viertens ist die Laufzeit der Hypotheken im Durchschnitt wesentlich höher als während der grossen Finanzkrise, mit Ausnahme einiger skandinavischer und baltischer Länder. Schliesslich ist der Verschuldungsgrad der Privathaushalte deutlich geringer als während der grossen Finanzkrise.

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3.Das gleitende 10-Jahres-Perzentil jedes Indikators wird mit gleicher Gewichtung zu einem Indikator für die Wohnbautätigkeit eines Landes aggregiert. Für Industrie- und Schwellenländer werden BIP-Gewichtungen für die Aggregation verwendet.
4. Siehe « What do our models think about US recession risks? »
5. Siehe « Anfälligkeit des Bankensektors unter historischem Durchschnitt » in der April-Ausgabe des Global Market Outlook.

 

 

 

 

 

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