Fünf Argumente dafür, jetzt in Emerging-Markets- Anleihen zu investieren

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Kurz und bündig

  • Institutionelle Anleger haben uns mitgeteilt, dass sie ihr Engagement in Schwellenländeranleihen in den nächsten zwei Jahren wahrscheinlich erhöhen werden, sind aber immer noch besorgt über die Risiken.
  • Zu den gängigen Argumenten gegen Schwellenländeranleihen gehören: ein starker US-Dollar, Zinserhöhungen seitens der US-Notenbank, das Risiko einer weltweiten Rezession sowie ein höheres Ausfallrisiko in den Schwellenländern.
  • Wir sind der Meinung, dass diese Risiken aufgrund der attraktiven Renditen, der besseren Wachstumserwartungen im Vergleich zu den Industrieländern und aufgrund des hohen Diversifizierungsgrads innerhalb der Schwellenländer überschaubar sind.
  • An der Seitenlinie zu warten, war 2022 vermutlich die klügste Entscheidung. Aber in diesem Jahr ist es vielleicht nicht die beste Strategie.

Nun, da sich die US-Notenbank Fed mitten in ihrem Zinserhöhungszyklus befindet, die Disinflation bereits eingesetzt hat und der Markt einen Leitzins von 5 Prozent innert weniger Monate einpreist, stellt sich die Frage, ob die Zeit gekommen ist, Barpositionen abzubauen und das Engagement in Schwellenländern zu erhöhen.

 

Dennoch gaben in unserer Umfrage unter 300 institutionellen Anlegern zwei Drittel der Teilnehmer an, ihr Engagement in Anleihen von Schwellenländern in den kommenden zwei Jahren voraussichtlich zu erhöhen. Was sind die Gründe?

Möchten Sie herausfinden, warum?

 

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Zwei Drittel der Teilnehmer an unserer Umfrage unter 300 institutionellen Anlegern gaben an, dass sie ihr Engagement in Emerging-Markets-Anleihen in den nächsten zwei Jahren voraussichtlich erhöhen werden.

Ungeachtet der Verkaufswelle bei EM-Titeln sprechen unserer Ansicht nach mehrere Gründe für die Anlageklasse. Die Renditen sind inzwischen ausgesprochen attraktiv. Die Wachstumsprognosen des Internationalen Währungsfonds für Schwellenländer übertreffen die von Industrieländern. Ein hohes Mass an Diversifikation kann die spezifischen Risiken erheblich reduzieren.

Zu den üblichen Argumenten gegen EM-Anleihen zählen der starke US-Dollar, begleitet von energischen Zinsschritten der Fed, das Risiko einer globalen Rezession und das höhere Ausfallrisiko dieser Anlagen. Wir erläutern, warum diese Risiken unserer Ansicht nach kontrollierbar sind.

Passives Abwarten jedenfalls dürfte 2023 nicht die beste Anlagestrategie sein.

 

Fünf Argumente dafür, jetzt in Emerging-Markets-Anleihen zu investieren

Das Jahr 2022 war für die Finanzmärkte in allen Anlage- klassen eines der schwärzesten seit Jahrzehnten. Risiko- reiche Anlagen wie Emerging-Markets-Papiere haben besonders gelitten. Daher wird das EM-Segment als risi- kobehaftet wahrgenommen und ist in Anlegerportfolios entsprechend unterrepräsentiert.

Wir haben im Mai 2022 eine Umfrage veröffentlicht, die wir unter mehr als 300 institutionellen Anlegern in Europa, Nord- und Südamerika sowie der Region Asien-Pazifik durchgeführt haben. Dabei haben wir festgestellt, dass zwei Drittel der Teilnehmer ihr Engagement in EM-Anlei- hen in den
nächsten zwei Jahren aus folgenden Gründen voraussichtlich erhöhen werden:

  • 64 Prozent der Befragten entschieden sich für Fixed-Income-Anlagen in Schwellenländern, um Diversifikation, ESG-Performance und Renditen zu erzielen.
  • Mehr als drei von vier Anlegern setzen auf aktive Strategien bei Fixed-Income-Anlagen aus Schwellenländern, da sie in Fehlbewertungen und Marktineffizienzen eine Chance zur Alpha-Generierung sehen.
  • Diversifikation, Erträge und die ESG-Ausrichtung sprechen für EM-Unternehmensanleihen.

Wenig überraschend brachten die Teilnehmer der Umfrage auch Bedenken im Hinblick auf EM-Anleihen zum Ausdruck.

In diesem Beitrag gehen wir auf fünf Gründe ein, die diese Anlageklasse unserer Ansicht nach besonders attraktiv machen, und erläutern, warum wir die aktuellen Bedenken der Anleger für kontrollierbar halten.

1. Ein anhaltender, massiver Ausverkauf hat Chancenfür langfristig orientierte Anleger geschaffen

Die Verluste des Jahres 2022 waren hauptsächlich auf den abrupten Übergang von einer über ein Jahrzehnt andauernden Phase äusserst niedriger Inflation zu einer unsicheren Periode mit hoher globaler Inflation zurückzu- führen. Anlagen aus Schwellenländern waren davon mit am stärksten betroffen.

Die Einpreisung der Zinsentwicklung traf risikoreiche Anlagen im Allgemeinen besonders hart, weshalb das EM-Segment inzwischen wenig überraschend überaus negativ wahrgenommen wird.

Der 14-monatige Ausverkauf war für die Anleger entmuti- gend. Der JP Morgan Corporate Emerging Markets Bond Index (CEMBI), der Referenzindex für EM-Unternehmens- anleihen, verzeichnete zwischen dem Beginn des Ausver- kaufs im September 2021 und dem Oktober 2022 nur drei verhalten positive Renditemonate.

Zum Vergleich: Der Ausbruch der Pandemie Anfang 2020 führte zu einem zweimonatigen und US-Präsident Donald Trumps freihandelsfeindliche Rhetorik 2018 zu einem fünfmonatigen Ausverkauf. Dies waren die längsten Pha- sen seit dem zweimonatigen Ausverkauf während der Weltfinanzkrise.

Anleihen, Spreads und Aktien wurden gleichermassen in Mitleidenschaft gezogen. Der Krieg in der Ukraine ver- schärfte die globale Inflationsproblematik und untergrub den Optimismus. Allerdings scheint sich die Stimmung im Hinblick auf die Schwellenländer seit dem 10. November, als die gemeldeten Inflationszahlen in den USA geringer als befürchtet ausfielen, deutlich verbessert zu haben.

Zwar sollte ein einzelner Datenpunkt nicht überbewertet werden, doch diese Meldung hat bestätigt, dass die Disin- flation tatsächlich eingesetzt hat und die jährliche Gesamt- inflation im vierten Monat in Folge zurückgeht. Zudem wurde damit bestätigt, dass die Fed sich dem Ende des Zinserhöhungszyklus nähert und daher wahrscheinlich das Tempo ihrer Zinsschritte drosseln und im ersten oder zweiten Quartal 2023 eine Pause einlegen dürfte.

Vor diesem komplexen Hintergrund wandten sich Anleger in Scharen vom EM-Segment ab. Seit Jahresbeginn wur- den in grossem Umfang EM-Anleihen veräussert (im Volumen von schätzungsweise USD 80 Milliarden nach EPFR-Daten per Mitte November). Anleger scheinen viel Liquidität zu halten, die sie zu investieren beabsichtigen dürften, sobald sich die Lage stabilisiert.

Dies dürfte in Verbindung mit der geringen Zahl an Primär- emissionen im Jahr 2022 positive technische Faktoren für 2023 bedingen. Im vierten Quartal 2022 nahm die Emissi- onstätigkeit in den Schwellenländern leicht zu, was auf eine ausgewogenere Einschätzung der Marktteilnehmer schliessen lässt.

Diese Primäremissionstätigkeit beinhaltete diverse Emis- sionen, bei denen der Prämienspread gegenüber der bestehenden Emittentenkurve auffällig gross war. Primär- märkte sind für aktive Vermögensverwalter, die tendenzi- ell Prämien für Neuemissionen zahlen und die Liquidität der Märkte und Portfolios verbessern, ebenfalls ein sehr ergiebiges Feld.

2. EM-Anleihen bieten höhere Renditen und eine geringere Duration als solche aus Industrieländern

Volatile Märkte schaffen Chancen. Angesichts steigender Zinsen, einer Ausweitung der Spreads und allgemein höherer Renditen wurde der frühere Konsens, Aktien (hauptsächlich US-Aktien) seien immer die beste Wachs- tumsanlageklasse, deutlich infrage gestellt. Mit anderen Worten: Das Mantra von der Alternativlosigkeit von Aktien ist Geschichte. Der Fixed-Income-Sektor – mit Papieren aus Schwellenländern als wachsendem und zunehmend beliebtem Teilsektor – ist wieder eine attrak- tive Anlageoption. Dabei stellt sich die Frage: Wozu überhaupt EM-Titel, wenn die Renditen für US-Unternehmensanleihen über 5,5 Prozent liegen?

Emerging markets fixed income segments provide a significantly higher yield than their developed market counterparts, not to mention that 5.5 % is still far below inflation. For example, emerging markets corporate and local-currency bonds have a yield of around 8 % and 7 % respectively, while emerging markets hard-currency sovereign debt offers a yield of almost 9 %. By comparison, the yield for 5- and 10-year US treasuries is less than 4 %, and less than 2 % for German bunds.

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Für EM-High-Yield-Spreads sieht die Prognose im Ver- gleich zu ihren Pendants aus Industrieländern ebenfalls deutlich günstiger aus. Die Grafik links vergleicht Spread und Duration und zeigt auf einen Blick, dass Titel aus Schwellenländern (grün) höhere Spreads bieten als High- Yield- (pink) und Unternehmensanleihen (blau) aus Indus- trieländern. Im Vergleich der Marktsegmente zeigt sich, dass EM-HY-Unternehmensanleihen im Vergleich zu US-High-Yields bessere Bewertungen und geringere Durationsrisiken, aber dennoch einen Spread-Aufschlag aufweisen. Hochverzinsliche EM-Staatsanleihen weisen bei demselben Rating und einer etwas höheren Duration einen Spread-Aufschlag von fast 100 Prozent auf.

Aus diesem Grund könnten EM-Unternehmensanleihen eine Alternative für Anleger darstellen, die vor dem Hin- tergrund von Rezessionsängsten und Zinserhöhungen in den Industrieländern auf der Suche nach höheren Spreads und Renditen sowie geringerer Duration sind. Da in den USA und einigen Schwellenländern bereits die Disinflation eingesetzt hat, könnten EM-Staatsanleihen in Hartwährung mit höherer Duration und weit höheren Spreads unterdessen die ideale Subassetklasse für Anleger darstellen, die Duration optimistischer sehen.

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3. Die Wachstumsaussichten des IWF für Schwellen- länder übertreffen die von Industrieländern

Der IWF hat seine Prognose für das globale BIP-Wachs- tum im Oktober nach unten korrigiert und das erhöhte Risiko einer globalen Rezession hervorgehoben. Aller- dings fiel die Abwärtskorrektur für Europa und die USA viel gravierender aus als für die Schwellenländer.

Das bedeutet, dass nach der etwas aussergewöhnlichen Erholungsphase nach der Pandemie, in der das Wachs- tum der Industrieländer fast mit dem der Schwellenländer Schritt hielt, die Differenz in puncto BIP-Wachstum wie- der auf ihr normales Niveau zurückkehren und die Schwellenländer ihr vorheriges Wachstumstempo wieder aufnehmen dürften.

Das gilt trotz der viel schwächeren Wachstumsprognose für China: Die COVID-Lockerungen dürften schrittweise erfolgen und die Konjunkturmassnahmen verhalten bleiben. Andernfalls ist Steigerungspotenzial gegeben.

Das BIP-Wachstum ist keine signifikante Variable zur Ermittlung der relativen EM-Spreads. Es eignet sich zwar als Indikator für EM-Aktien, aber nicht für die Spreads festverzinslicher EM-Anlagen. Kurz gesagt ist schnelles Wachstum manchmal nicht nachhaltig, während langsa- mes Wachstum manchmal die Folge von Sparmassnah- men ist, die die Schuldentragfähigkeit wiederherstellen.

Doch ebenso, wie ein starker US-Dollar die Stimmung eintrüben kann, führt ein schnelleres BIP-Wachstum in Schwellenländern im Vergleich zu den Industrieländern üblicherweise zu einer Aufhellung der Anlegerstimmung (das berühmte Prinzip, dass Barmittel Wachstum suchen).

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4. Niedrige Ausfallraten und stabile Bilanzen

Im Durchschnitt sehen die Bilanzen der EM-Unternehmen solider aus als die ihrer Pendants aus den Industrielän- dern. Das erklärt, warum sie im Schnitt besser bewertet werden (trotz Begrenzung durch Staatsanleihen, weil Unternehmensanleihen in manchen Ländern trotz solider Fundamentaldaten schlechter bewertet werden als diese) und langfristig eine geringe durchschnittliche Ausfallrate von bloss 3,7 Prozent aufweisen.

Doch in diesem Jahr ist es anders. Die Immobilienkrise in China und die Sanktionen gegen Russland nach dem Angriff auf die Ukraine, die bei russischen Unternehmens- anleihen zu Ausfällen geführt haben, trieben die Ausfall- rate von EM-HY-Unternehmensanleihen in den ersten zehn Monaten des letzten Jahres auf 11,3 Prozent.

Die Ausfallrate dürfte 2023 auf vergleichbarem Niveau bleiben – oder auf 7,3 Prozent sinken, wenn Russland, das nicht mehr Teil des Index ist, ausgenommen wird (Quelle: JP Morgan).

Ohne den chinesischen Immobiliensektor und Unterneh- mensanleihen aus Russland und der Ukraine läge die Ausfallrate von EM-HY-Unternehmensanleihen 2022 bei nur einem Prozent – das ist alles andere als beunruhi- gend. Manche Ausfälle können für aktive Anleger sogar attraktive Chancen darstellen.

Darüber hinaus dürfte die Ausfallrate im chinesischen Immobiliensektor zwar hoch bleiben, die Anleihenkurse bilden dies aber nicht vollständig ab. Der Durchschnitts- kurs für chinesische HY-Immobilienanleihen im CEMBI Broad Index liegt zum jetzigen Zeitpunkt bei 28,5 Cent je Dollar, was das Abwärtspotenzial für Anleger künftig deutlich limitiert.

Auch bei Staatsanleihen kam es jüngst zu Ausfällen, was zu reisserischen Schlagzeilen und der bequemen Ein- schätzung führte, die Emerging Markets seien eben

«Emergency Markets». Die Fakten beweisen das Gegenteil:

  1. Russland und die Ukraine ausgenommen ist die Ausfallrate am Markt sehr gering.
  2. Wenn Schwellenländer in Zahlungsverzug geraten, gibt es fast keine Ansteckungseffekte für Nachbar- länder. Anleger sind in den vergangenen Jahren diffe- renzierter in ihren Einschätzungen geworden und können seit der Ausfallwelle während der Pandemie nun zwischen hoffnungslosen und «normalen» Fällen unterscheiden.

 

5. EM-Anleihen mit guter Diversifikation

Diversifikation wird häufig unterschätzt. Zwar gab es im Segment der EM-Unternehmensanleihen einige konzentrierte Einbrüche, beispielsweise in Russland und der Ukraine, im chinesischen High-Yield-Segment und im mexikanischen Nichtbanken-Finanzsektor. Doch davon abgesehen scheinen die Ausfallraten angesichts der kon- kreten Gründe für diese Einbrüche unter Kontrolle zu sein.

Offenbar wird der geringe Ansteckungseffekt dieser Märkte von Anlegern nicht gewürdigt. Die makroökono- mischen Sorgen in der Türkei wirkten sich nicht sonder- lich auf die Nachbarländer aus. Die chinesische COVID- Welle setzt zwar der Weltwirtschaft, nicht aber einem bestimmten Sektor in Land A oder B zu. Das alles ver- deutlicht uns, wie wichtig Diversifizierung beim Anlegen in Schwellenländern ist.

Da mehr als 80 Länder als «Schwellenländer» eingestuft werden, ist dort eine viel stärkere Diversifikation als bei der Investition in bestimmte Regionen der Industrieländer möglich, in denen Einzelereignisse sich auf einen viel grö- sseren Teil des Anlageuniversums auswirken.

 

«Offenbar wird der geringe Ansteckungs- effekt dieser Märkte von Anlegern nicht gewürdigt.»

Die grössten Sorgen der Anleger – darum sind sie kontrollierbar

Die Stimmung im Hinblick auf EM-Titel war zuletzt beson- ders düster, da die Fed die Zinsen schneller erhöht hat als andere Zentralbanken in den Industrieländern. Die Folge war eine rasche Aufwertung des US-Dollar.

Auch das drohende Ende einer Ära des Liquiditätsüber- schusses hat Ängste in Bezug auf mehrere Ausfälle an Frontier-Märkten geweckt, die in den letzten zehn Jahren erstmalig Eurobonds emittierten und jetzt feststellen müs- sen, dass sie keinen Marktzugang haben.

Gegen Anlagen in EM-Anleihen werden vor allem fol- gende Argumente vorgebracht:

1. Der US-Dollar hat gegenüber anderen Währungen aus Industriestaaten viel stärker aufgewertet als gegenüber EM-Währungen.

Der US-Dollar hat laut DXY-Index gegenüber wichtigen Währungen der Industrieländer in den ersten zehn Mona- ten des Jahres um 16,67 Prozent aufgewertet. Zu erwar- ten wäre, dass EM-Währungen unter dem Fed-Zinserhö- hungszyklus stärker zu leiden hätten – das Jahr 2018 war ein gutes Beispiel dafür.

Die reine Devisenrendite des JP Morgan Government Bond Index-Emerging Markets allerdings lag im gleichen Zeitraum seit Anfang Jahr bei −10,87 Prozent. Anders ausgedrückt: Mehrere EM-Währungen entwickeln sich deutlich besser als andere Währungen aus Industrielän- dern. So haben der brasilianische Real, der mexikanische Peso und der peruanische Sol seit Anfang Jahr gegen- über dem Dollar an Wert gewonnen.

Im Normalfall geben EM-Währungen nach, wenn die US- Notenbank Fed das Carry durch Zinserhöhungen schwächt. Das Carry in Schwellenländern wurde in die- sem Jahr jedoch nicht geschwächt. Vielmehr hat es trotz der Zinsschritte der Fed angezogen und mittlerweile den höchsten Stand seit Mitte 2017 erreicht.

Dies liegt daran, dass die Notenbanken in Schwellenlän- dern und insbesondere in Lateinamerika sehr viel früher mit Zinserhöhungen begonnen haben als die Fed und dabei auch deutlich energischer vorgegangen sind: In einem Drittel der 15 grössten Länder im GBI-EM-Index liegen die Leitzinsen mittlerweile im zweistelligen Bereich.

EM-Lokalwährungsanleihen haben sich trotz des steigen- den Dollarkurses erheblich besser entwickelt als Hartwäh- rungsanleihen. Sowohl Unternehmens- als auch Lokalwäh- rungsanleihen aus Schwellenländern haben dank ihrer geringeren Duration eine bessere Performance verzeich- net als Staatsanleihen aus Industrieländern.

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Ein starker Dollar belastet einer gängigen Logik zufolge die externe Schuldentragfähigkeit von Schwellenländern: Wenn ein Staat sich Geld in einer Fremdwährung leiht und seine eigene Währung an Wert verliert, dann steigen seine Verbindlichkeiten, wenn sie in der Lokalwährung berechnet werden. Die Einnahmen bleiben jedoch unver- ändert, da sie zumeist in Inlandswährung durch Steuern generiert werden.

Das mag im Normalfall gelten, doch die Zeiten sind nicht normal. Erstens nehmen Schwellenländer Mittel in einer Mischung aus Lokal- und Fremdwährung auf. Wenn Ver- bindlichkeiten in Lokalwährung die Hälfte der öffentlichen Verschuldung des Landes ausmachen, reduziert das den Effekt eines starken Dollars bereits um die Hälfte.

«Die Steuererträge sind in vielen Schwellenländern 2022 schneller gestiegen als das BIP – einige verzeichnen gemessen am BIP-Anteil sogar höhere Erträge als vor der Pandemie.»

Die Zusammensetzung der Verschuldung ist extrem heterogen. Sie reicht von Ländern wie Argentinien, das aufgrund der chronisch hohen Inflation hauptsächlich in Fremdwährungen leiht, bis zu Brasilien, wo 97 Prozent der öffentlichen Verschuldung auf die Lokalwährung lautet und deshalb in puncto Schuldentragfähigkeit fast gar nicht von einem starken Dollar betroffen sein dürfte.

Zweitens erleben auch die Schwellenländer eine hohe globale Inflation. Wenn ein Land in diesem Jahr 10 Prozent Inflation verzeichnete, liegt sein nominales BIP selbst ohne Wachstum auch um 10 Prozent höher, was die relative Stärke des Dollars mehr als ausgleichen würde.

Zudem verfügen viele Schwellenländer über stark regres- sive Steuersysteme, besonders Entwicklungsländer, in denen Umsatzsteuern und Einfuhrzölle wichtiger sind als Einkommensteuern. Vor dem Hintergrund einer hohen Inflation nehmen die Erträge aus Umsatzsteuern und Zöl- len umgehend zu, während die Entwicklung bei der Ein- kommensteuer verzögert abläuft. Aus diesem Grund sind die Steuererträge in vielen Schwellenländern 2022 schnel- ler gestiegen als das BIP – einige verzeichnen gemessen am BIP-Anteil sogar höhere Erträge als vor der Pandemie.

2. Üblicherweise weiten sich die High-Yield-Spreads in Rezessionsphasen. Spricht das vor dem Hintergrund der globalen Konjunkturschwäche nicht dafür, Schwellenländer zu meiden?

Grundsätzlich ja, doch die EM-HY-Spreads lagen jüngst bei 1000 Basispunkten – fast so hoch wie im Dezember 2008, als die Weltfinanzkrise bereits in vollem Gange war, und höher als während der Rezession von 2001 in den USA. Die Spreads verengten sich im November (auf unter 900 Bp.), als die US-Inflationszahlen erste Belege für eine Disinflation lieferten. Dieses Niveau ist dennoch sehr hoch, zumal die Konjunkturdaten zeigen, dass die Wirtschaft stabil bleibt und keine unmittelbare Rezession droht.

Wir haben an anderer Stelle bereits betont, wie unwahr- scheinlich es ist, dass die Rezession so schwerwiegend wie während der Finanzkrise ausfallen wird. Im Gegensatz dazu wirken die US-HY-Spreads gemessen an ihrer histo- rischen Entwicklung nicht stark geweitet. Das absolute Renditeniveau ist nur deshalb so hoch, weil US-Treasuries stark gestiegen sind.

Die Spreads von EM-HY-Staatsanleihen in Hartwährung liegen nun fast auf dem Niveau während der globalen Finanzkrise und höher als während der Rezession von 2001. Die Spreads hochverzinslicher US-Anleihen dagegen bewegen sich nahe an ihrem historischen Durchschnitt.

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« Bestimmte Länder dürften vorübergehend ohne Marktzugang auskommen, ohne umschulden zu müssen, was Chancen für Anleger schafft.»

3. Wird es nicht zu einer Ausfallwelle im EM-Segment kommen, wenn die High-Yield-Spreads so stark geweitet bleiben?

Man könnte argumentieren, dass die HY-Spreads im EM- Segment gerade wegen des hohen Ausfallrisikos geweitet sind. Umgekehrt könnte man auch sagen, dass es ange- sichts so grosser Spreads sogar Länder mit tragbarer Verschuldung geben mag, die keinen Marktzugang haben.

Bei der IWF-Konferenz in Washington, D.C. im Oktober taten mehrere Anleger ihre Sorge kund, dass eine Ausfallwelle im EM-Segment unvermeidlich sei, wenn die Lage unverändert bliebe.

Tatsächlich würden, sofern die Spreads dauerhaft so stark geweitet bleiben, wie es im Oktober der Fall war, selbst Länder mit soliden Fundamentaldaten in Schwie- rigkeiten geraten. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass sich die globale Inflation Ende 2024 immer noch bei fast 10 Prozent und der Fed-Leitzins bei ungefähr

5 Prozent bewegen wird. Die US-Inflationszahlen im Oktober – dem vierten Monat rückläufiger Gesamt- inflation – bestätigen, dass die aktuelle Lage nicht von Dauer sein dürfte.

Einige Analysten haben daraus den voreiligen Schluss gezogen, dass Ländern ohne Marktzugang bald die Liqui- dität ausgehen dürfte und sie zur Restrukturierung ihrer Schulden gezwungen sein würden. Diese Schlussfolge- rung beruht jedoch auf der irrigen Annahme, dass Ent- wicklungsländer die Fälligkeit ihrer Schuldtitel laufend ver- längern müssen – wie es Industrieländer in der Regel tun.

Doch auf die meisten Entwicklungsländer trifft dies nicht zu. Sie emittieren meist in unregelmässigen Abständen Eurobonds (d. h. Auslandsschulden) mit einer eher oppor- tunistischen Strategie. So haben die meisten afrikani- schen Eurobond-Emittenten keine umfassenden Fällig- keiten vor 2024 oder 2025 zu erwarten. Folglich können es sich die Länder leisten, den globalen Kapitalmärkten fernzubleiben, bis sich die Finanzierungsbedingungen verbessert haben.

Hinzu kommt, dass sie sich beim Verlust des Marktzu- gangs in der Regel auf mehrere Kreditgeber der letzten Instanz stützen können. Der IWF fungiert zusammen mit anderen multilateralen Institutionen wie der Weltbank sowie regionalen Entwicklungsbanken als Kreditgeber letzter Instanz. Zudem geniessen verschiedene Staaten Unterstützung durch bilaterale Partner, die diese Auffang- rolle ebenfalls übernehmen können. So wird Ägypten beispielsweise durch die an Petrodollars reichen Golf- staaten unterstützt.

Selbstverständlich gibt es auch schwarze Schafe. In den kommenden zwei Jahren dürften wir im Hinblick auf die Zahl der Länder, die eine Umschuldung vornehmen, mehr Ausfälle beobachten. Doch da die Anleihen notleidender Länder zu oder unter 40 Cent je Dollar gehandelt werden, während der durchschnittliche Erholungswert in Schwel- lenländern 52 – 53 Cent je Dollar beträgt, scheint dies bereits eingepreist zu sein.

Kurz gesagt: Das aktuelle globale makroökonomische Umfeld birgt viele Herausforderungen, und es dürfte in den kommenden zwei bis drei Jahren tatsächlich zu wei- teren Restrukturierungen von Staatsschulden kommen, da nicht alle Länder solide Fundamentaldaten aufweisen.

Da Entwicklungsländer jedoch auf verschiedene Kredit- geber letzter Instanz zurückgreifen können und meist nur unregelmässig Eurobonds emittieren, dürften bestimmte Länder vorübergehend ohne Marktzugang auskommen, ohne umschulden zu müssen, was Chancen für Anleger schafft.

 

Ist die Zeit des Abwartens vorüber?

Insgesamt werden zwei Drittel der Teilnehmer unserer im Mai 2022 veröffentlichten Umfrage unter 300 instituti- onellen Anlegern ihr Engagement in EM-Anleihen in den kommenden zwei Jahren voraussichtlich erhöhen.

Das globale makroökonomische Umfeld ist weiterhin sehr herausfordernd. Der Ausverkauf an den Fixed-Income- Märkten scheint jedoch grösstenteils hinter uns zu liegen. Die Fed hat ihren Zinszyklus zwar noch nicht beendet, Überraschungen durch unerwartete Zinsschritte sind künftig aber weniger wahrscheinlich: Anzeichen einer Disinflation sind erkennbar und der Markt geht nicht mehr von einer Kehrtwende der Fed aus. Die Märkte haben die deutlich kommunizierte Absicht der Fed, die Zinsen so lange auf erhöhtem Niveau zu belassen, bis man sich dem Inflationsziel nähert, bereits eingepreist.

Eine genaue Aussage darüber, wann die Inflation spürbar zurückgehen, die Fed ihre Zinserhöhungen einstellen, der Dollar abwerten und die Stimmung gegenüber Risikoanla- gen sich deutlich aufhellen wird, ist fast unmöglich.

Es ist jedoch davon auszugehen, dass all das im Laufe des Jahres 2023 geschehen wird. Und wenn der Zeit- punkt kommt, sprechen die geringen Engagements in der Anlageklasse in Verbindung mit attraktiven Bewertungen, den besseren Wachstumsprognosen und der sehr schwachen Emissionstätigkeit von EM-Schuldnern dafür, dass sich EM-Anleihen gut entwickeln.

Zu bedenken ist auch, dass Lokalwährungen eine deut- lich bessere Wertentwicklung als Hartwährungen aufwei- sen. Wesentliche Gründe dafür wurden bereits genannt: eine flexiblere Zinspolitik sowie eine Verbesserung der Wachstumsdifferenz und der Leistungsbilanzen. Interes- santerweise lässt sich das nicht an den Asset-Allocation- Trends ablesen. Mit Blick auf 2023 sprechen unserer Ansicht nach überzeugende Argumente für Lokalwäh- rungsanleihen als weiteres Diversifikationssegment innerhalb der Emerging Markets.

Abwarten mag 2022 die beste Haltung gewesen sein, aber die Zeiten ändern sich.

 

 

 

 

 

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