Schwer zu erreichende Zinsstabilität wäre Wendepunkt für Anleihen
TwentyFour
Für Fixed-Income-Anleger war das Jahr 2022 bislang alles andere als einfach. So haben die zunehmend energischen Bemühungen der Zentralbanken, die Inflation unter Kontrolle zu bringen, für Rückgänge und Schwankungen an wichtigen Zinsmärkten wie den US-Treasuries gesorgt, was zu einem Einbruch der Renditen von Unternehmensanleihen führte.
Angesichts des erhöhten Tempos der Zinserhöhungszyklen der Zentralbanken sind wir jedoch der Ansicht, dass der Höhepunkt der Renditen zehnjähriger US-Treasuries nicht mehr weit entfernt ist. Bei einer wiederkehrenden Zinsstabilität könnten sich die Anleger Anleiherenditen sichern, die für diesen Punkt im Zyklus ungewöhnlich hoch sind.
Inflation ist weiterhin ausschlaggebend für die Marktstimmung
Wie wir vor einiger Zeit festgestellt haben, hat sich der Konjunkturzyklus nach der Pandemie ungewöhnlich schnell entwickelt. Vor gerade einmal zwölf Monaten hätten die wirtschaftlichen Fundamentaldaten kaum besser aussehen können. Heute geht das globale BIP-Wachstum hingegen rapide zurück und wir befassen uns aktuell mit der Frage, ob eine Rezession in den USA, in Europa und in anderen Ländern verhindert werden kann.
Der Renditeabstand, oder «Spread», zwischen zwei- und zehnjährigen US-Treasuries, der in der Vergangenheit ein zuverlässiger Indikator für eine Rezession war, hat sich seit Anfang Juli umgekehrt, während Europa auf einen Winter ohne Gas zusteuert, da sich Russlands Einmarsch in die Ukraine weiterhin verheerend auf die Rohstoffpreise und die globalen Lieferketten auswirkt.
Im Zentrum von alledem steht natürlich die Inflation, die unserer Ansicht nach auch weiterhin der bestimmende Treiber der Anlegerstimmung und – ebenso entscheidend – der Mittelflüsse von Anlagefonds ist.
Die Nachrichten an dieser Front fielen in den letzten Wochen positiver aus. Aus den Daten des US-Verbraucherpreisindex (CPI) geht hervor, dass die jährliche Gesamtinflation endlich ihren Höhepunkt erreicht hat und nach ihrem Wert von 9,1 Prozent im Juni auf 8,5 Prozent im Juli und 8,3 Prozent im August zurückgegangen ist. Die in der nachstehenden Grafik dargestellte fünfjährige Breakeven-Rate (ein gängiger Näherungswert für die Inflationserwartungen) zeigt, dass der Markt davon ausgeht, dass die Fed im Kampf gegen die Inflation die Oberhand gewinnt.
Breakeven-Rate deutet darauf hin, dass die Fed den Inflationskampf gewinnt
Es ist jedoch wichtig, dass die europäischen Staaten nun aktiv werden, um den alarmierenden Anstieg der Energiepreise einzudämmen. Das britische Hilfspaket von rund 150 Milliarden Pfund wird die Inflation Prognosen zufolge um 500 bis 800 Basispunkte senken und ihren Höchststand um mehrere Monate vorziehen, während die Ankündigung eines koordinierten EU-Plans kurz bevorsteht.
Trotz dieser positiven Nachrichten offenbarte sich der Einfluss, den die Inflation weiterhin auf die Anlegerstimmung ausübt, am 13. September, als die monatliche Kerninflation in den USA die Erwartungen für August deutlich übertraf. Diese Hartnäckigkeit sorgte für einen unmittelbaren Ausverkauf von US-Treasuries und den schlechtesten Tag für US-Aktien in zwei Jahren.
Unsicherheit der Zentralbanken ist ursächlich für die Sorgen des Jahres 2022
Die heftige Reaktion der Märkte auf die Inflationsüberraschungen ist auf die Unsicherheit über die Politik der Zentralbanken zurückzuführen. Da die Inflation wiederholt die Erwartungen übertrifft, stellen sich die Märkte besorgt die Frage, wie hoch die Zentralbanken die Zinsen anheben müssen, um sie schliesslich unter Kontrolle zu bringen.
Genau diese Dynamik hat die Anleihenmärkte im Jahresverlauf 2022 bislang belastet. Je länger die Inflation auf ihrem hohen Stand blieb, desto mehr Anleger passten die Renditen von Staatsanleihen nach oben an, um drastischere Zinserhöhungen einzukalkulieren.
Indizes für Staatsanleihen – Gesamtrendite (USD, GBP, EUR)
Die Anleger konnten sich der Schwäche an den Zinsmärkten kaum entziehen, da die steigenden Renditen von Staatsanleihen die relativ engen Spreads gegenüber Investment-Grade-Unternehmensanleihen explodieren liessen, während risikoreiche Anlagen wie High-Yield-Anleihen aufgrund der Spreadausweitung infolge der gestiegenen Rezessionsängste ebenfalls schwere Mark-to-Market-Verluste erlitten.
Anleger haben sich seit Jahren daran gewöhnt, dass die Zentralbanken eher Probleme lösen als Probleme schaffen, entweder indem sie die Leitzinsen auf Rekordtiefständen halten oder Vermögenswerte durch quantitative Lockerung unterstützen. Während die Märkte sich zuvor der Politik der Zentralbanken sicher sein konnten, ist nun das Gegenteil der Fall.
Eine baldige Zinsstabilität bringt Hoffnung
Diese Unsicherheit nimmt nun jedoch mit jeder Zinserhöhung ab, seit die Zentralbanken mit zügigen Schritten auf ihre «Endzinssätze» zugehen – den höchsten Punkt der Zinsanhebungen im aktuellen Zyklus.
Mit der Zinserhöhung der US-Notenbank um 75 Basispunkte am 21. September wurde der US-Leitzins auf 3,25 Prozent angehoben. Somit befindet er sich nun deutlich im restriktiven Bereich für die US-Wirtschaft. Wahrscheinlich werden die Zinsen bis Jahresende auf 4,25 bis 4,5 Prozent steigen. Auf diesem Niveau könnte die Fed eine Pause einlegen, während sie darauf wartet, dass sich die vollen Auswirkungen ihrer Straffung zeigen.
Der aktuelle Stand von 3,25 Prozent lässt vermuten, dass der Endzinssatz der Fed mit der nächsten oder übernächsten Anhebung erreicht wird. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass die Renditen von US-Treasuries mit längeren Laufzeiten ihren Höhepunkt in der Regel gegen Ende eines Zinserhöhungszyklus erreichen; wir gehen also davon aus, dass die zehnjährigen US-Treasuries mit knapp unter 3,5 Prozent nicht mehr weit von ihrem Höchststand entfernt sind. Die Leitzinsen werden jedoch wahrscheinlich auf 4,5 Prozent ansteigen und damit dürfte sich auch die Inversion zwischen zehnjährigen Treasuries und kurzfristigeren Laufzeiten weiter erhöhen.
Treasury-Renditen erreichen ihren Höhepunkt tendenziell vor der «letzten Zinserhöhung»
Anleger werden für ihre Geduld belohnt
Die Rückkehr zur Zinsstabilität würde die Marktbedingungen entscheidend beeinflussen und wäre unserer Ansicht nach ein möglicher Wendepunkt für risikoreiche Anlagen.
Die aktuellen Renditen – 4 bis 5 Prozent bei Investment-Grade-Anleihen und 8 bis 9 Prozent bei High-Yield-Anleihen1 – sind für diese späte Phase des Zyklus, in der ein wirtschaftlicher Abschwung erwartet wird, ungewöhnlich. Die spätzyklischen Bedingungen können in der Regel über einen längeren Zeitraum andauern, in dem Bewertungen sehr teuer werden. Bei einer sich anbahnenden Rezession möchten Anleger im Normalfall keine risikoreichen Kreditanlagen halten. Dies liegt zum einen daran, dass sie von einer Verschlechterung der Fundamentaldaten von Anleihen ausgehen, und zum anderen an den niedrigen Renditen.
Wir sind der Meinung, dass die aktuellen Renditen zu viele schlechte Nachrichten einpreisen und die Kreditbewertungen aus Sicht der Fundamentaldaten attraktiv erscheinen. Doch wie immer ist eine sorgfältige Titelauswahl von entscheidender Bedeutung.
Unternehmen in den USA und in Europa haben das Niedrigzinsumfeld der letzten Jahre geschickt ausgenutzt und Schulden kostengünstig abgelöst. Der Grossteil der Ausstände wird erst 2025 oder später fällig. Die weiterhin nachlassende Zinsdeckung liegt noch immer deutlich über dem langfristigen Durchschnitt.
Wir gehen davon aus, dass die Unternehmensausfälle mit der Konjunkturabschwächung zunehmen werden, allerdings nicht in dem Masse, in dem sie von den Märkten eingepreist werden. Der iTraxx-Crossover-Index, ein weit verbreiteter Näherungswert zur Abbildung europäischer High-Yield-Anleihen, weist derzeit eine implizite fünfjährige Ausfallrate von rund 32 Prozent auf. Die durchschnittliche fünfjährige Ausfallrate seit 1970 liegt bei nur 15 Prozent. Im schlechtesten Fünfjahreszeitraum seit 1970 betrug die Ausfallrate 30 Prozent. Angesichts der aktuellen Stärke von Unternehmensbilanzen halten wir es für unwahrscheinlich, dass wir uns am Beginn des schlechtesten Fünfjahreszeitraums seit 1970 befinden.
Portfolios sollten sich Anleihen mit kurzer Laufzeit zuwenden
Was bedeutet all dies für die Portfoliokonstruktion?
Wir rechnen damit, dass die Volatilität auf kurze Sicht hoch bleibt, da die Nervosität der Anleger über eine Überschreitung des Inflationsziels anhält und der Krieg zwischen Russland und der Ukraine weiterhin für Schlagzeilen sorgen wird, insbesondere mit Blick auf Energielieferungen nach Europa in den bevorstehenden Wintermonaten. Daher sollten Portfolios unserer Meinung nach vorsichtiger positioniert werden.
Wir sind der Ansicht, dass zehnjährige US-Treasuries mit einer Rendite von derzeit rund 3,5 Prozent für Fixed-Income-Portfolios die richtige Wahl sind. Treasuries und andere Zinsmärkte haben sich in diesem Jahr aufgrund steigender Renditen grösstenteils als erhebliche Risikoquelle für Anleger erwiesen. Da die Renditen bei 3,5 bis 3,75 Prozent jedoch ihren Höchststand erreichen dürften, sind Treasuries wieder eine sinnvolle risikoarme Anlage.
Im Allgemeinen gehen wir davon aus, dass sich die Anleihen mit den besten Risiko-Rendite-Profilen am kürzeren Ende der Kurve befinden. Zwei- bis dreijährige Investment-Grade-Anleihen bieten mit Renditen von 7 bis 8 Prozent eine beträchtliche Belohnung für dieses kurzfristige Risiko. Kurzfristige Anleihen profitieren auch am stärksten vom Pull-to-Par-Effekt; ein Anleger kann eine Anleihe halten, die ihm auf Mark-to-Market-Basis negative Renditen gebracht hat, wobei jede negative Performance zum Fälligkeitsdatum ausgemerzt wird, solange die Anleihe nicht ausfällt; folglich nähern sich die Anleihekurse kurz vor der Fälligkeit wieder ihrem Par Value von 100.
Breakeven-Renditen lassen die aktuelle Chance unserer Meinung nach deutlicher erkennen. Die nachstehende Grafik zeigt, dass der USD-High-Yield-Index (mit einer Rendite von derzeit 8,45 Prozent) in den kommenden zwölf Monaten nur dann eine negative Performance aufweisen wird, wenn die Rendite auf über 11,14 Prozent steigt. Da bereits so viele schlechte Nachrichten eingepreist sind, würde es schon sehr aussergewöhnlicher Umstände bedürfen, damit die Renditen diesen Stand erreichen.
Uns ist bewusst, dass die Inflation 2022 bislang der wichtigste Treiber der Anlegerstimmung und der Asset Allocation gewesen ist. Die negativen Mittelflüsse in Fixed Income zeigen dies deutlich. Wenn die Inflation eingedämmt wird und grössere Sicherheit bezüglich der Geldpolitik besteht, könnte eine recht starke Umkehr dieses Trends einsetzen.
Es bleibt noch immer etwas Zeit, um abzuwarten, ob sich die Zinsstabilität einstellt. Doch es fällt uns leichter, geduldig zu sein, wenn sich die Anleiherenditen auf einem solch hohen Stand wie aktuell befinden.
1. ICE-BofA-Indizes, 2. September 2022