Brasilien-Wahl: Umfragen deuten vor der zweiten Runde auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen hin

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Diesen Sonntag findet die zweite Runde der brasilianischen Präsidentschaftswahlen statt. Die Umfragen sprechen für ein enges Duell zwischen Luiz Inácio Lula da Silva und dem Amtsinhaber Jair Bolsonaro. Lula da Silva hat dabei einen knappen Vorsprung, der aber innerhalb der Prognoseungenauigkeit liegt.

Brasilianische und ausländische Anleger begrüßten die Aufholjagd, da die Märkte in der Regel davon ausgehen, dass rechts-konservative Regierungen besser in der Lage sind, das Wirtschaftswachstum zu fördern und gleichzeitig die öffentlichen Finanzen verantwortungsvoll zu verwalten. Wir gehen jedoch nach wie vor davon aus, dass Lula mit knappem Vorsprung gewinnen wird. Bolsonaro könnte seinen Rückstand von 6,5 Millionen Stimmen im ersten Wahlgang nur durch einen massiven Zugewinn von Stimmen aufholen. Dazu müssten mehr als 70 % der Wähler, die im ersten Wahlgang für Simone Tebet und Ciro Gomes stimmten, für ihn stimmen oder es müsste ein signifikanter Transfer von Stimmen aus ungültigen und leeren Stimmzetteln zugunsten des derzeitigen Präsidenten stattfinden. Die in Brasilien ohnehin illegale Stimmenthaltung und die ungültige Stimmabgabe sind jedoch seit jeher stabil, so dass dies kaum das Wahlergebnis nachhaltig beeinflussen dürfte.

Wirtschaftsreformen werden unter beiden Kandidaten vorankommen

Die Wirtschaftsreformen werden wahrscheinlich unter beiden Regierungen voranschreiten, da es keine andere Möglichkeit gibt, die durch die verfassungsmäßige Ausgabenbegrenzung auferlegten Grenzen einzuhalten. Lula da Silva würde sich sicherlich aktiv um die Aufhebung dieser Obergrenze bemühen, aber die Hürde scheint zu hoch zu sein, als dass seine Koalition die erforderliche qualifizierte Mehrheit erreichen könnte. Dies gilt insbesondere für den Senat, in dem die rechten Parteien dominieren. Auch Bolsonaro würde die Ausgabenbeschränkung gerne ändern, aber das politische Kapital seines Wirtschaftsministers Paulo Guedes ist nicht unbegrenzt, und er wird einige Kompromisse bei seinen Hauptzielen eingehen müssen.

Wie auch immer die Wahl ausgeht, die dringlichste Herausforderung für den Wahlsieger dürfte die Verwaltungs- und Steuerreform sein. Lula dürfte als Präsident wahrscheinlich auch versuchen, die sozialen Ungleichheiten zu verringern, die Investitionen in Bildung und Infrastruktur zu erhöhen, die Umwelt wieder auf die Tagesordnung zu setzen, einschließlich des Stopps der Abholzung des Amazonas, und die Rolle des Landes in der internationalen Gemeinschaft wiederherzustellen. Stattdessen würde Bolsonaro weiter daran arbeiten, die Rolle des Staates in der Wirtschaft zu verringern und die Wirtschafts- und Geschäftsbedingungen zu erleichtern, während er gleichzeitig versuchen würde, die durch den Wahlkampf unterminierte Steuerdisziplin wiederherzustellen.

Privatisierung: Beide Kandidaten mit gegensätzlichen Visionen

Die Privatisierung staatlicher Unternehmen sowie die Versteigerung von Lizenzen für den Betrieb öffentlicher Infrastrukturen sind ein Kernziel von Bolsonaros Wirtschaftsminister Paulo Guedes und werden es auch bleiben, wenn Bolsonaro ein zweites Mandat gewinnt. Tatsächlich ist dies die einzige Karte, die er ausspielen kann, um die öffentliche Schuldenlast zu verringern, wenn die realen Zinssätze viel höher sind als das reale BIP-Wachstum und angesichts der großen Herausforderung, im nächsten Jahr einen Primärüberschuss im Haushalt zu erzielen. Andererseits sind Privatisierungen im großen Stil mit vielen juristischen und politischen Hürden verbunden und ihre Umsetzung benötigt viel Zeit. Insbesondere die Privatisierung von Petrobras würde mehr als eine Amtszeit des Präsidenten in Anspruch nehmen und zudem auch auf Vorbehalte oder offenen Widerstand von Bolsonaro selbst stoßen, da sein populistisches Programm ständige, aktive Eingriffe in die Preispolitik des Unternehmens erfordert. Im Gegensatz dazu würde eine Präsidentschaft Lulas sicherlich ein Ende der Privatisierungen von Staatsbetrieben bedeuten, aber wir glauben nicht, dass Wiederverstaatlichungen auf seiner Agenda stehen.

Der Gewinner sieht sich mit einer lahmenden Wirtschaft konfrontiert

Brasiliens Wirtschaft gibt kein sehr rosiges Bild ab. Wachstum ist zwar vorhanden, aber es ist vor allem das Ergebnis der Wiederbelebung der Wirtschaft nach Corona, mehrerer Runden fiskalischer Anreize und hoher Rohstoffpreise. Alle diese Faktoren werden entweder auslaufen oder einfach abnehmen. Unsere Erwartungen für das Wirtschaftswachstum im nächsten Jahr sind deutlich niedriger und liegen kaum noch im positiven Bereich.

Die Gesamtinflation ist derzeit besonders niedrig, was jedoch in erster Linie auf die im letzten Sommer eingeführten Steuersenkungen für Energieprodukte zurückzuführen ist. Auch die nicht staatlich festgelegten Preise haben sich dank der restriktiven Geldpolitik stabilisiert, aber die Kerninflation liegt immer noch auf einem hohen Niveau. Das gibt Anlass zur Sorge, da der geldpolitische Straffungszyklus nun zu Ende ist. Besorgniserregend ist auch die nach wie vor zweistellige Inflation bei Nahrungsmitteln und Getränken, da diese Warengruppe für einen großen Teil der brasilianischen Bevölkerung wichtig ist.

Ein weiterer Grund zur Sorge sind die rund 1 Billion Real an notleidenden Verbraucherschulden, die auf den privaten Haushalten lasten. Fast 80 % der brasilianischen Familien sind verschuldet, und 30 % von ihnen haben aufgrund der extrem hohen Zinssätze für Privatkredite Schwierigkeiten, ihre Schulden zu bedienen. So kostet beispielsweise ein Autokredit rund 2 % pro Monat (ca. 27 % p.a.) und ein Überziehungskredit für eine Kreditkarte rund 14 % pro Monat (ca. 380 % p.a.).

Wir glauben, dass auch bei der Finanzpolitik Vorsicht geboten ist. Die guten Ergebnisse bei den Steuereinnahmen wurden in diesem Jahr bisher hauptsächlich für Steuersenkungen und Subventionen verwendet und nicht für den Schuldenabbau oder staatliche Investitionen.

Was die Schuldentragfähigkeit anbelangt, so dürfte die Bruttoverschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2023 wieder ansteigen, nachdem sie im letzten Jahr dank des hohen nominalen BIP-Wachstums deutlich zurückgegangen ist. Die Nettoverschuldung wird durch den negativen Marktbewertungseffekt des höheren Dollarkurses auf die Währungsreserven beeinträchtigt.

Darüber hinaus sind die Kosten für den Schuldendienst immer noch recht hoch (fast 25 % der Staatseinnahmen), da mehr als 70 % des Schuldenstandes entweder an den Leitzins (über die Letras Financeiras do Tesouro) oder an die Inflation (über die Notas do Tesouro Nacional - Série B/C) gebunden sind. Für Euphorie ist also auch auf dieser Seite wenig Platz.

Alles in allem sind wir nicht übermäßig beunruhigt. Wir halten den brasilianischen Real aber nicht für besonders günstig und wir sind skeptisch gegenüber dem in jüngster Zeit vorherrschenden Optimismus. Konstruktiver sind wir bei langlaufenden Anleihen. Hier sehen wir Spielraum für Zinsrückgänge, während der geldpolitische Lockerungszyklus näher rückt. Die realen (inflationsbereinigten) Zinssätze sind unhaltbar hoch und daher sehen wir hier derzeit das überzeugendste Risiko-Rendite-Verhältnis.

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