Vescore Global Market Outlook Februar 2023
Quantitative Investments
Kurz und bündig
- Risikomodell sieht Parallelen zu den Krisenjahren 1989/90
- Chinas Konjunkturausblick hellt sich langsam auf
- Tiefere «unmittelbare» Rezessionsrisiken stützen Aktienausblick
- Risiko-/Ertragsverhältnis spricht derzeit gegen grössere Positionen
Kann die US-Wirtschaft «sanft landen»?
Seit Oktober letzten Jahres erleben die Finanzmärkte ein regelrechtes Hoch und setzten ihren positiven Trend demnach auch im Januar 2023 ungebremst fort. Beschwingt werden die Märkte weiterhin von den Erwartungen eines vermeintlich baldigen Endes des US-Zinserhöhungszyklus und einer schlimmstenfalls milden Rezession. Eine immer höhere Wahrscheinlichkeit wird auch einem «Soft Landing» attestiert – darunter ist ein wirtschaftliches Szenario zu verstehen, bei dem sich das Wachstum zwar abschwächt, aber eine Rezession dank eines umsichtigen Zinserhöhungszyklus ausbleibt.
Doch wie wahrscheinlich ist es wirklich, dass die Eurozone und die USA eine Rezession dieses Jahr vermeiden können? Und wenn es doch eine Rezession gibt, wie tief wird sie sein? Genau diese Fragen haben wir unseren Vescore-Modellen kürzlich gestellt1. Sowohl unser Risikomodell2, welches im derzeitigen Marktumfeld viele Parallelen zu den Krisenjahren 1989/90 sieht, als auch unsere US-Wave halten eine US-Rezession für wahrscheinlich. Der aktuelle Wert der US-Wave liegt bei ca. 20%. Ein derart tiefer Wert führte in 70% der Beobachtungen seit den 1950er Jahren jeweils in den darauffolgenden 12 Monaten zu einer Rezession.
Hinsichtlich der Tiefe der Rezession ist die Unsicherheit jedoch deutlich höher. Aus historischer Perspektive erscheint ein überschaubarer temporärer Einbruch der Wirtschaftsleistung von einem Prozentpunkt wahrscheinlich3. In der Vergangenheit verursachte eine derartige Rezession – mit wenigen Ausnahmen – jeweils eine deutliche Korrektur am US-Aktienmarkt. Das heisst nun aber nicht, dass Aktien sofort über Bord geworfen werden müssen – auch unsere Modelle halten derzeit eine Aktienübergewichtung für gerechtfertigt. Schliesslich vollzog der S&P 500 in den letzten 120 Jahren die Korrektur oftmals erst unmittelbar vor Beginn der Rezession. Demzufolge besteht also noch eine gewisse Schonfirst.
Somit kann sich die Markterholung in den kommenden Wochen fortsetzen, vor allem wenn die Fed ihren Zinserhöhungszyklus bald beendet, die Inflation weiter sinkt und die Rezession tatsächlich erst später im Jahr eintritt.
Risikoumfeld: ähnlich wie im Rezessionsjahr 1990
Weiterhin sieht unser Risikomodell SDRM4 – dieses versucht mittels Mustererkennungstechnik, Risikoumfelder der Vergangenheit zu identifizieren, die mit der heutigen Situation vergleichbar sind –, Ähnlichkeiten zu 1989/90, den Jahren also, in denen die USA eine Spar- und Kreditkrise (1986-1989) in Form einer Insolvenzwelle bei Finanzdienstleistern sowie eine Rezession (1990) durchmachten. Auch damals ging den Krisenjahren ein der Inflation geschuldeter aggressiver (+16 Prozentpunkte zwischen 1976 und 1980) Zinserhöhungszyklus der Fed voraus, gefolgt von einem moderateren (+4 Prozentpunkte zwischen 1987 und 1989).
Ähnlich wie heute verringerte sich damals die reale Geldmenge um historisch selten starke 5% und verursachte eine Rezession in der zweiten Hälfte des Jahres 19905. Die derzeit abnehmende Volatilität der Anleihenmärkte (MOVE-Index) und vor allem der Aktienmärkte (VIX) signalisieren aber ein sinkendes Rezessionsrisiko. Während der MOVE-Index bei aktuell 115 weiterhin über seinem historischen Durchschnitt von 93 liegt, fand der VIX wieder zu seinem historischen Durchschnitt von 18.3% zurück. Grund dafür dürften die rückläufige Inflation in den USA sowie die gesunkenen Energiepreise sein, die das Risiko einer tiefen Rezession in der Eurozone ausräumten. Somit sieht unser SDRM-Modell weiterhin ähnliche Volatilitätsmuster wie in den Jahren 1989/90. Allerdings lässt die Prognoseschärfe etwas nach.
4. Für eine Modelleinführung verweisen wir auf
Risk management: Forward on calm seas, adaptive and agile in stormy phases.
5. Siehe Walsh, C.E. (1993). What caused the 1990-1991 Recession? Federal Reserve Bank of San Francisco. Economic Review 2, S. 33-48.
Konjunkturausblick: Rezessionsrisiken bleiben hoch
Im laufenden Jahr hat sich das globale Wirtschaftsklima weiter abgekühlt, wobei sich unsere globale Wave6 nach wie vor in «Kontraktion» befindet. Der geld- und fiskalpolitische Impuls bleibt ebenfalls negativ, was sich in der knapper werdenden realen Geldmenge spiegelt. Daher ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass die «Kontraktion» weiteranhält, mit 94% ausgesprochen hoch. Ein Blick auf die Wave-Komponenten bestätigt das Szenario einer sich eintrübenden Konjunktur. Zwar zeigen Haushalts- und Unternehmensumfragen, dass die Stimmung von historischen Tiefstständen leicht gestiegen ist, doch die «harten» Konjunkturdaten (z.B. Produktion, Einzelhandel) signalisieren eine steigende Rezessionswahrscheinlichkeit.
Industrieländer: USA nähern sich einer Rezession
In einigen europäischen Volkswirtschaften (z.B. Frankreich) sowie in den USA hat sich unsere Wave in den vergangenen Wochen verbessert. Die anhaltend restriktive Geldpolitik sorgt jedoch für eine unverändert hohe Wahrscheinlichkeit (60%) einer «Kontraktion» in den kommenden Monaten. Somit bleibt auch die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in der Eurozone sowie in den USA hoch. Unsere Analyse für die USA zeigt, dass ein derart tiefer Wert der Wave (Dezember: 17%) seit den 1950er Jahren in über 70% der Fälle jeweils eine Rezession in den darauffolgenden 12 Monaten zu Folge hatte7. Der Arbeitsmarkt schwächelt ebenfalls – oft der letzte Indikator, der sich vor einer Rezession verschlechtert – und verliert in den USA und anderen Industrieländern zunehmend an Dynamik.
Schwellenländer: China könnte bald eine «Erholung» erleben
In den Schwellenländern bleibt unsere Wave in der «Kontraktion» – ganze 61% der aufstrebenden Wirtschaften einschliesslich China befinden sich in einer «Kontraktion» – besonders belastet durch China, dessen Wirtschaft im Jahr 2022 mit 3% das tiefste Wachstum seit 1976 verzeichnete (2020 ausgenommen). Obschon die Abkehr von der Null-Covid-Politik das marode Gesundheitswesen der Volksrepublik derzeit strapaziert, hellt sie den mittelfristigen Ausblick für Chinas Konjunktur auf. Unsere Wave trägt diesem Umstand insofern Rechnung, als die Wahrscheinlichkeit einer «Erholung» in den kommenden Monaten auf 70% gestiegen ist. Die expansivere Geldpolitik Chinas schlägt hier ebenfalls positive zu Buche.
6. Für eine detaillierte Modellbeschreibung unseres Konjunkturzyklusmodells «Wave» verweisen wir auf unser White Paper «
Die Vescore Wave – ein überlegenes Konjunkturzyklusmodell
»
7. Details zu dieser Analyse können in «
What do our models think about US recession risk?
» gefunden werden
Aktien: Vertrauen in die Fed stützt Aktien
Das Vertrauen der Marktteilnehmer in die Fed bzw. in einen allmählich ausklingenden Zinserhöhungszyklus spiegelt sich in den Modell-Variablen unseres Aktienallokationsmodells. So wurde die Aufstockung der Aktienquote in den letzten Monaten durch die Kreditrisiko-Spreads und im Besonderen die Zinsstruktur-Spreads getrieben.
Zum einen deutet der positive Beitrag durch den Zinsstruktur-Spread darauf hin, dass die Marktteilnehmer zuversichtlicher auf ein baldiges Ende des US-Zinserhöhungszyklus und eine lockerere Geldpolitik im Jahr 2024 blicken. Zum anderen spricht der positive Beitrag des Kreditrisiko-Spreads dafür, dass das Rezessionsrisiko in den Industrieländern gesunken ist bzw. der mögliche ökonomische Schaden geringer ausfallen könnte als letztes Jahr befürchtet.
Anleihen: Risiko-/Ertragsverhältnis spricht gegen grosse Positionen
Nach einer mehrwöchigen leichten Untergewichtung von Staatsanleihen – vor allem in Nordamerika – leistet «Momentum» aktuell keinen signifikant negativen Beitrag mehr zur Anleihenallokation, weshalb nun ein marginales Übergewicht resultiert. Das Staatsanleihen-Segment bekommt gleich von zwei Seiten Unterstützung: Die Inflation sinkt weiterhin stärker als erwartet, und der US-Arbeitsmarkt zeigt mit geringeren Lohnwachstumsraten eine deutliche Entspannung. Beide Aspekte dämpfen die Zinserwartungen in den USA.
Dennoch kann unser Anleihenallokationsmodell derzeit kein attraktives Risiko-/Rendite-Verhältnis ausmachen. Die über den MOVE-Index gemessene Anleihenvolatilität bleibt relativ hoch, was gegen grössere Über-/Untergewicht-Positionen spricht. Zudem liegen die Renditen mittlerweile wieder nahe bei ihren längerfristigen Durchschnitten. Daher leistet derzeit neben «Momentum» auch «Mean Reversion» einen nahezu neutralen Modellbeitrag. Die flachen bzw. sogar inversen Zinskurven sorgen für tiefe «Carry-Renditen».
1. Siehe Vescore (2023) “
What do our models think about US recession risks?
”
2. Siehe Abschnitt Risikomodell
3. Dies ist das Ergebnis einer Studie von 10 Industrieländern seit den 1950er Jahren, in welcher wir den Einfluss von Zinserhöhungszyklen auf das Wirtschaftswachstum untersuchen.