Vescore Global Market Outlook Dezember 2022
Quantitative Investments
Kurz und bündig
- Die Volatilität an den Märkten ist signifikant zurückgegangen
- Der konjunkturelle Abschwung nimmt auf globaler Ebene Fahrt auf
- Die sinkende Unsicherheit am Aktienmarkt resultiert in einer leichten Aktienübergewichtung
- Die Aussichten am Anleihemarkt sind auf kurze Sicht neutral
- Der temporäre Strukturbruch könnte das langfristige Gesicht der Finanzmärkte verändern
Das Warten auf die Fed
Der Dezember hat mir als Kind mit 24 kleinen Geschenken in meinem Weihnachtskalender immer viel Freude bereitet. Diese Freude ist seit meiner Tätigkeit in der Finanzbranche der Sorge über einen möglichen kommunikativen Dämpfer durch die US-Zentralbank Fed gewichen, die jedes Jahr Mitte Dezember und somit kurz vor Weihnachten tagt. Insbesondere in diesem Jahr verspricht die geldpolitische Sitzung der Fed Spannung, da risikobehaftete Anlageklassen auf Basis der Erwartung eines baldigen geldpolitischen Richtungswechsels seit Anfang Oktober eine beachtliche Rally verzeichnet haben. So stellt sich die Frage, ob die Fed bereits im Dezember ein langsames Ausklingen des Zinserhöhungszyklus in Aussicht stellen wird.
Sicherlich haben die Argumente für ein baldiges Ende des Zinserhöhungszyklus zugenommen, etwa die rückläufigen Inflationsraten, der sich langsam abschwächende Arbeitsmarkt oder die sich insgesamt abkühlende Wirtschaft. Allerdings befindet sich der US-Arbeitsmarkt weiterhin im Bereich der Vollbeschäftigung, wobei sich das Lohnwachstum mit +5% jenseits des mit dem 2% Inflationsziel kompatiblen Bereich befindet. Hinzu kommen eine Abnahme der für den derzeitigen Inflationsrückgang verantwortlichen Basiseffekt ab April 2023 und zunehmender struktureller Inflationsdruck.
Grundsätzlich stehen der Fed zwei Optionen bei ihrer Mission der Inflationsbekämpfung zur Verfügung:
- Den Zinserhöhungszyklus so lange fortzusetzen, bis die US-Wirtschaft sich am Rand einer Rezession befindet, die dann wahrscheinlich einen signifikanten Inflationsrückgang zur Folge hat.
- Eine bald beginnende längere Zinspause, die es der Fed ermöglicht, den Effekt der bisher durchgeführten Zinserhöhungen und Bilanzkürzung abzuwarten.
Während die zweite Strategie – fallende Inflationsraten vorausgesetzt – den Risikoappetit von Investoren in den kommenden Monaten tendenziell stützen dürfte, wäre erstere eine für die Finanzmärkte wohl nur schwer zu verdauende Variante in den kommenden Monaten.
Sowohl unser Risikomodell (SDRM) als auch die Wave signalisieren zunehmende Rezessionsrisiken, insbesondere in den USA. Allerdings könnte diese Rezession verhältnismässig mild ausfallen. Insbesondere dann, wenn sich die Fed für die zweite Option entscheidet. Die mittlerweile tiefen Sensitivitäten der Modellvariablen in unseren Allokationsmodellen für Aktien und Anleihen implizieren, dass beide Optionen eine hohe Wahrscheinlichkeit besitzen und eine tendenziell eher neutrale Positionierung als angemessen erscheinen lässt.
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Risikoumfeld: Volatilität geht signifikant zurück
Im November gewannen in unserem SDRM-Modell , das die Ähnlichkeit von Marktsituationen der Vergangenheit mit dem heutigen Marktumfeld vergleicht, die Phase vor der Rezession Anfang der 1990er-Jahre stark an Bedeutung. Hierbei stechen von den 50 ähnlichsten Tagen der Vergangenheit – den nächsten Nachbarn zu heute – fast ausschliesslich Tage im September 1989 hervor.
Ein Blick in die historischen Ereignisse zu jener Zeit zeigt, dass die USA im August 1989 als Reaktion auf die Spar- und Darlehenskrise der 1980er-Jahre2 den Financial Institutions Reform, Recovery, and Enforcement Act of 1989 (FIRREA) verabschiedet hatte. Dieses Gesetz ermöglicht es dem Justizministerium, Banken strafrechtlich zu verfolgen und zu sanktionieren, die absichtlich riskante Kredite vergeben. Im Zuge der Krise wurden tausende Spar- und Kreditinstitute zahlungsunfähig, was für die Rezession von 1990/91 mitverantwortlich war.
Trotz immer stärkerer Signale eines wirtschaftlichen Abschwungs und einer nach wie vor hawkishen Fed deutet die Verringerung der Aktienvolatilität auf eine Beruhigung am Markt hin. Der VIX Index verringerte sich von 33 Basispunkten im Oktober auf derzeit 22 Punkte – dem tiefsten Stand in den letzten drei Monaten2. Sowohl der S&P 500 als auch der deutsche Leitindex DAX verzeichneten im November beträchtliche Zugewinne. Ursächlich hierfür ist neben den gesunkenen Inflationsrisiken und der durch die tiefen Energiepreise in Europa gesunkenen Randrisiken einer Energiekrise auch die damit einhergehende Entspannung der Situation der Unternehmen in Europa.
Auch am Anleihemarkt sinkt die Unsicherheit. Der MOVE Volatilitätsindex, der die implizite Volatilität für US-Staatsanleihen mit unterschiedlichen Laufzeiten wiedergibt, befindet sich aber nach wie vor auf einem historisch hohen Niveau. Mit derzeit 132 Basispunkten liegt er jedoch noch immer weit über seinem langfristigen Durchschnitt. Nach der Finanzkrise von 2008 bis Ende 2021 war eine Spanne von 50 bis 100 üblich.
1. Die Spar- und Darlehenskrise (S&L) stellte den grössten Bankenzusammenbruch seit der Grossen Depression von 1929 dar. Bis 1995 waren mehr als 3.000 Spar- und Kreditinstitute in den USA zahlungsunfähig geworden.
2. Seit der Pandemie bewegt sich der VIX Index in einer Spanne zwischen 20 und 30, während er in den zehn Jahren davor zwischen 10 und 20 Basispunkten lag.
Makroökonomisches Umfeld: Abschwung nimmt Fahrt auf
Seit Dezember 2021 signalisiert die Wave auf globaler Ebene – mit wenigen Ausnahmen – die für risikobehaftete Anlageklassen negativste Phase des Konjunkturzyklus Kontraktion. Während die Bärenmarktrally zwischen Juni und August noch durch zaghafte Erholungssignale erklärt werden konnte, hält die Wave für die Rally seit Oktober keine Erklärung mehr bereit. Vielmehr haben sich - mit Ausnahme der in unserem Modell verarbeiteten Vermögenspreise - sämtliche Wirtschaftssektoren im November verschlechtert.
Die globale reale Liquidität, die das vorausschauende Element unseres Konjunkturzyklusmodells darstellt, spricht sogar für einen sich zuspitzenden Konjunkturabschwung. Seit Anfang der 1980er-Jahre hat der Liquiditätsindikator in den Industrieländern keinen so starken Rückgang (-4.2%) mehr verzeichnet wie jetzt. In der Folge prognostiziert die Wave mit einer Wahrscheinlichkeit von 93% einen Verbleib in der «Kontraktion» auf globaler Ebene.
Der Arbeitsmarkt verliert an Dynamik in den Industrieländern
Das Konjunkturbild der Industrieländer bleibt unvermindert schwach (Kontraktion). Allerdings verliert nun auch der Arbeitsmarkt zunehmende an Dynamik, auch wenn sich die Arbeitslosigkeit in nahezu allen Industrieländern weiterhin nahe historischer Tiefstände befindet. Insbesondere die straffe Geldpolitik spricht gegen ein sich nachhaltig aufhellendes Konjunkturbild in den kommenden Monaten. Zwar ist von weniger aggressiven Zinserhöhungen auszugehen, die Bilanzkürzung der Fed (quantitative Straffung) wird jedoch aggressiver. Die Wave der Eurozone befindet sich den zweiten Monat in Folge in einer «Erholung», was den gefallenden Randrisiken einer Energiekrise zu verdanken ist.
Infektionswelle belastet China kurzfristig
Obwohl weder die COVID-Strategie noch der Immobiliensektor eine wichtige Rolle in Xi Jinpings Rede auf dem 20. Chinesischen Parteitags gespielt haben, sind die seitdem verkündeten Konjunkturstützungsmassnahmen im Immobiliensektor sowie COVID-Lockerungen beachtlich. Dennoch belastet die derzeitige Infektionswelle in China die Wirtschaft und sorgt kurzfristig für stringentere Lockdowns und ein rückläufiges Momentum der Konjunktur. Die Wave befindet sich darum wieder in der Kontraktion. Die expansive Geld- und Fiskalpolitik spricht jedoch für eine hohe Wahrscheinlichkeit einer Erholung, sollten die Lockdowns wieder gelockert werden. Lateinamerika (Expansion) sowie neu auch Osteuropa (Erholung) befinden sich zurzeit im Konjunkturaufschwung, wobei Osteuropa3 von den gefallenden Randrisiken einer Energiekrise profitiert.
3. Exklusive Ukraine und Russland.
Aktien: Sinkende Unsicherheit resultiert in leichter Übergewichtung
Die Unsicherheit an den Aktienmärkten ist im letzten Monat deutlich gesunken. Mit einem Level von zwischenzeitlich 22 Basispunkten erreichte der VIX Index den niedrigsten Stand der letzten drei Monate. Diese Entwicklung deutet darauf hin, dass Investoren das Randrisiko einer Energiekrise und somit einer tiefen Rezession als zunehmend unwahrscheinlich bewerten.
Diese optimistischere Sichtweise teilt auch unser Aktienallokationsmodell: Im Laufe des Novembers wechselte die taktische Aktiengewichtung von einer Unter- in eine Übergewichtung und liegt derzeit bei 76.2% (Vormonat: 37,8%). Zur neuen Übergewichtung tragen sowohl der TED-Spread als auch der Zinsstruktur-Spread bei. Letzterer notiert seit diesem Monat im negativen Bereich und stellt mit 24,3% den bedeutendsten Einzelbeitrag der Allokation dar.
Der Kreditrisiko-Spread, der im letzten Monat gesunken ist, und die Dividendenrendite weisen weiterhin einen negativen Beitrag auf. Die Sensitivitäten im Modell, welche die Empfindlichkeit der Allokation bei der Variation der vier Instrumentalvariablen anzeigt, sind derzeit sehr niedrig. Dies führt dazu, dass das Modell zurzeit keine starke Überzeugung zum Zusammenhang der Variablen hat und in der Folge keine grossen Risiken nimmt.
Anleihen: Anleihemodell ist neutral gewichtet
Am Anleihemarkt steht nach wie vor die Inflation im Fokus der Investoren, wobei die Entwicklung der Kurse im nächsten Jahr davon abhängen wird, wie hartnäckig sich die Inflation erweist und wie stark sich die Weltwirtschaft verlangsamt. Unterdessen bewegt sich die Inversion der Zinskurve aufgrund eines starken Rückgangs der langfristigen Anleiherendite seit Anfang Oktober auf höchster Stufe und sendet das bisher deutlichste Signal, dass der Wirtschaft ein Abschwung bevorstehen könnte.
Unser Anleihemodell bleibt im November neutral gewichtet. Während das Teil-Modell Carry4, mit dem wir die künftigen Bewegungen der Zinskurve prognostizieren, weiterhin eine marginal positive Positionierung vorsieht, bewertet das Teil-Modell5 Mean Reversion Anleihen aktuell neutral. Die Momentum-Komponente6, die auf das Sentiment im Markt reagiert, bewertet Anleihen marginal negativ und hat im letzten Monat die Short-Position weiter abgebaut. Im aktuellen Umfeld werden Staatsanleihen aus Kanada und den USA negativ allokiert.
4. Grundsätzlich unterstellen Carry-Strategien, dass sich die Zinskurve nicht bzw. nur in geringem Ausmass verändert.
5. Mean-Reversion-Strategien basieren auf der Intuition, dass die kurzfristigen Zinsen eine Konvergenz zu einem dynamischen Gleichgewicht aufweisen.
6. Die Momentum-Komponente berücksichtigt, dass sich Zinskurven aufgrund wichtiger Ankündigungen der Zentralbanken und politischer Entscheide in kurzer Zeit sehr stark und nachhaltig verändern können.
Aktuelles Thema: Das neue Gesicht der Märkte im Jahr 2023?
Derzeit befinden sich die Finanzmärkte in einem Strukturbruch, der gekennzeichnet ist durch hohe Volatilität, niedrige reale Renditen sowie veränderte Korrelationen zwischen wichtigen Anlageklassen. Diese Veränderungen sind auf einen bekannten Faktor zurückzuführen: die Inflation. Diese zwingt die Zentralbanken - zum Leidwesen der an Liquidität gewöhnten Anleger - dazu, sich auf Kosten des Wirtschaftswachstums auf die Preisstabilität zu konzentrieren.
Setzt sich der derzeitige Trend fort, kann dies zu einem strukturellen Bruch und somit zu einem Regimewechsel an den Finanzmärkten führen. In der Folge würden sich nicht nur wesentliche Merkmale des Marktrisikos und der Rendite, die in den letzten Jahrzehnten als selbstverständlich galten, sondern auch die Bedürfnisse der Anleger verändern. Entsprechend müssten sich auch die Anlagelösungen den neuen Bedingungen am Markt anpassen, sollen weiterhin attraktive Anlageergebnisse erzielt werden.
Das künftige Gesicht der Märkte hängt weitgehend davon ab, wie sich die Inflation entwickelt. Wir gehen davon aus, dass sie sich im nächsten Jahr und eventuell darüber hinaus auf einem erhöhten Niveau einpendeln wird. Dadurch werden sich Anleger mit drei grundlegenden Veränderungen auseinandersetzen müssen:
- Höhere Zinssätze
- Höhere Volatilität
- Höhere Korrelationen
Dies hat wichtige Konsequenzen für die Art und Weise, wie erfolgreiche Anlagestrategien Renditequellen erschliessen und Risiken managen werden. Solange die veränderten Marktbedingungen berücksichtigt werden, dürfte die Entwicklung der Vermögenspreise weiterhin einen hohen Wert für Anleger bieten, die bereit sind, sich von überholten Annahmen zu lösen und sich auf das neue Gesicht der Märkte im Jahr 2023 und eventuell darüber hinaus einzulassen.7
7. Siehe “Breaking with the past: the new face of financial markets in 2023 and beyond”,
https://am.vontobel.com/insights/breaking-with-the-past-the-new-face-of-financial-markets-in-2023-and-beyond