Vescore Global Market Outlook Januar 2023
Quantitative Investments
Kurz und bündig
- Die Phase vor der Rezession 1990 gewinnt weiter an Bedeutung
- Der konjunkturelle Abschwung nimmt auf globaler Ebene Fahrt auf
- Der Ausblick am Aktienmarkt ist in der kurzen Frist weniger pessimistisch
- Die Unsicherheit am Anleihemarkt bleibt hoch
Die Rezession rückt näher, aber niemanden interessiert es
Kaum eine Ökonomin oder ein Ökonom geht derzeit nicht von einer Rezession in der Eurozone und den USA im kommenden Jahr aus. Und dies, obwohl die Arbeitsmärkte in den Industrieländern auffällig robust sind und die Aktienmärkte seit zweieinhalb Monaten ansteigen. Die Statistik gibt den Rezessionsprognostikern jedoch recht: Nach aggressiven Zinserhöhungen folgen oftmals Rezessionen1. Auch die US-Zinskurve, die eine relativ hohe Treffsicherheit bei Rezessionsprognosen aufweist,1 sieht derzeit eine 60-prozentige Wahrscheinlichkeit für eine Rezession ab dem zweiten Quartal 2023.
Unser Konjunkturzyklusmodell Wave teilt diese Ansicht: Sowohl Schwellen- als auch Industrieländer befinden sich in der «Kontraktion». Auch die hohe Finanzmarktvolatilität bzw. die Finanzmarktverwerfungen im Jahr 2022 sprechen dafür, dass mit ökonomischen Kollateralschäden im Jahr 2023 zu rechnen ist. Auch unser Risikomodell, welches das derzeitige finanzielle Marktumfeld mit Momentaufnahmen aus der Vergangenheit abgleicht, findet momentan viele Übereinstimmungen mit dem Jahr 1989. Ein Jahr später schlitterte die USA in eine tiefe Rezession und der Aktienmarkt korrigierte stark. Dies ist ein Ergebnis, das wir seit der Erfassung der US-Rezessionen ab 1900 oft beobachten konnten. Dabei tendierte der US-Aktienmarkt meist dazu, erst nach Ausbruch der Rezession in einen Bullenmarkt einzutreten.3
Die Aktienmärkte zeigen sich seit nunmehr Mitte Oktober von dieser statistischen Evidenz unbeeindruckt. Ein Blick auf unser Allokationsmodell zeigt warum: Das Modell sieht eine steigende Erwartungshaltung der Marktteilnehmer auf bald endende Zinserhöhungen und erste Zinssenkungen Ende 2023. Sollten sich diese Erwartungen verfestigen, könnte das die Entwicklung der Märkte in den kommenden Wochen noch weiter beflügeln. Dies dürfte auch die überschaubare negative Marktreaktion auf die «hawkishen» Zentralbankkommentare von Fed Präsident Powell und EZB Chefin Lagarde («der Zentralbankauftrag ist noch lange nicht erfüllt») im Anschluss an die Zinsentscheide im Dezember erklären. Zu weit (2. Quartal 2023) liegt die potenzielle Rezession noch in der Zukunft, während die Inflation stärker als erwartet fällt.
Die nächsten Lackmustests für die Märkte in Form von US-Inflationszahlen und Zentralbanksitzung (1. Februar 2023) stehen bereits fest. Diese werden uns der Antwort auf die Frage ein wenig näherbringen, ob dieses Mal alles anders ist und der Bullenmarkt trotz möglicher US-Rezession bereits begonnen hat.
1. Unsere Analyse der 10 grössten Industrieländer seit 1950 (59 Zinserhöhungszyklen) zeigt, dass ein derartig aggressiver Zinserhöhungszyklus, wie wir ihn derzeit in den USA beobachten, oft zu einer Rezession geführt hat.
2. Sämtliche Rezessionen seit den 1980-Jahren verzeichneten 12-24 Monate vor Beginn eine Inversion der Zinskurve, also höhere Renditen auf kurz- als auf langlaufende Staatspapiere.
3. Lediglich 1918, 1926 und 1945 trat der US-Aktienmarkt bereits vor Ausbruch der Rezession in einen Bullenmarkt ein. Die Stichprobe umfasst seit 1900 insgesamt 24 Rezessionen.
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Risikoumfeld: Die Phase vor der Rezession 1990 gewinnt weiter an Bedeutung
Im Dezember hatte in unserem SDRM-Modell , das die Ähnlichkeit von Marktsituationen der Vergangenheit mit dem heutigen Marktumfeld vergleicht, nach wie vor die Phase vor der Rezession Anfang der 1990er-Jahre eine starke Bedeutung. Bei den 50 ähnlichsten Tagen der Vergangenheit – den nächsten Nachbarn zu heute – stechen immer noch fast ausschliesslich Tage im September 1989 hervor.
Neben einer Bankenkrise (Savings-and-Loan-Krise) sah sich die Wirtschaft vor der Rezession des Jahres 1990 mit einer steigenden Inflation konfrontiert. Um zu verhindern, dass der Druck auf Preise und Löhne zunimmt, verlängerte die Fed die Anfang des Jahres 1988 begonnene Straffung der geldpolitischen Rahmenbedingungen. Es gelang ihr allerdings nicht, die Inflation ohne eine Schwächung der bereits rezessionsanfälligen Wirtschaft allmählich zu senken. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Entwicklung der Geldmenge in den Jahren 1987 bis 1989 zur Verlangsamung der Wirtschaft vor dem eigentlichen Abschwung Mitte 1990 beigetragen hat.4
Ein Jahr zuvor, im Jahr 1988, wurde der Merrill Lynch Option Volatility Estimate (MOVE)5 eingeführt. Dies ist ein gewichteter Durchschnitt, der die impliziten Volatilitäten am Geld von Optionen6 auf US-amerikanische Staatsanleihen mit 2-, 5-, 10- und 30-jähriger Laufzeit misst. Seit seiner Auflegung bewegte sich der MOVE in einem Basisbereich von 80 bis 125 Basispunkte.7
Zu Beginn des Jahres 2022 hat er die Marke von 100 Basispunkten überschritten und schwankt seit Sommer in einer Spanne von 125 bis 1608. Als Reaktion auf die Fed-Sitzung ist er Mitte Dezember zwischenzeitlich auf 111 gesunken und steht derzeit bei 120 Basispunkten. Die lange Erhöhung des Index deutet darauf hin, dass der Anleihemarkt aktuell sehr viele Risiken abbaut, die im Vorfeld oftmals durch Hebeleffekte akkumuliert worden sind.
Am Aktienmarkt schwankte der VIX Index9 – das Pendant zum MOVE, das die Markterwartungen für die 30-tägige implizite Volatilität von Optionen auf den S&P 500 misst – im Dezember zwischen Werten von 19 bis 25 Basispunkten. Derzeit steht er bei 22 Punkten. Die abnehmende Unsicherheit ist auf die Verlangsamung des Tempos bei der Straffung der Leitzinsen, die rückläufige Inflation sowie das bislang noch robuste wirtschaftliche Umfeld zurückzuführen.
4. Walsh, C.E. (1993). What caused the 1990-1991 Recession? Federal Reserve Bank of San Francisco. Economic Review 2, 33-48.
5. Der MOVE Index war der erste relevante Index, der versucht, die Erwartungen an die künftige Volatilität von gehandelten Zinsderivaten zu messen, die auf Staatsanleihen (hauptsächlich US-Schatzanleihen) und Zinsswaps basieren.
6. Eine Option wird als «am Geld» bezeichnet, wenn der Basispreis mit dem Kursniveau des Basiswertes identisch ist.
7. Da es sich um eine normalisierte Volatilität handelt, impliziert dies eine tägliche Volatilität der Treasury-Rate von etwa 5 bis 8 Basispunkten.
8. Letztmalig wurden solch hohe Werte über einen so langen Zeitraum während der Finanzkrise des Jahres 2008 beobachtet.
9. Seit seiner Einführung im Jahr 1997 bewegt sich der VIX meist zwischen 18 und 35 Basispunkten, hat aber auch Ausreisser nach unten (10) und nach oben (85).
Makroökonomisches Umfeld: Abschwung nimmt Fahrt auf
Auch im Dezember trübte sich der Konjunkturausblick für die Weltwirtschaft weiter ein. Die Wave 10 verharrt weiterhin in der für risikobehaftete Anlageklassen negativsten Phase des Konjunkturzyklus , der Kontraktion. Mittlerweile befinden sich 54% der von uns untersuchten Schwellen- und Industrieländer in der Kontraktion. Getrieben wird das Kontraktionssignal insbesondere vom schwachen Geschäfts- und Konsumentenklima, welches sich mit 12% nahe dem 30-Jahres-Tief befindet, und dem Immobilienmarkt.
Der starke Anstieg der Renditen am langen Ende, getrieben durch historisch hohe Inflation und die global restriktive Geldpolitik haben die Immobilienpreise insbesondere in Skandinavien und Australien auf eine rasante Talfahrt geschickt. In Schweden, wo der Häuserpreisrückgang mittlerweile mehr als 10% beträgt, schreitet dieser Trend am schnellsten voran. Das gestiegene Renditeniveau spiegelt sich aber auch in der negativen Wachstumsrate der globalen Liquidität wider, welche mit -3% in realen jährlichen Wachstumsraten ein 40-Jahres-Tief in den Industrieländern erreicht. Folglich geht unser Konjunkturzyklusmodell mit einer Wahrscheinlichkeit von 93% von einem Verbleib in der Kontraktion aus.
Rezessionsrisiken steigen in USA und Europa
Die anhaltende restriktive Geldpolitik und die damit einhergehende schrumpfende Liquidität spiegelt sich in den Industrieländern, besonders in Europa und den USA, in einer 65%igen Wahrscheinlichkeit eines Verbleibs in der Kontraktion wider. Entsprechend steigt die Rezessionswahrscheinlichkeit in den USA und der Eurozone. Letztere erhält durch den zunehmend kälter werdenden Winter sowie dem seit Anfang Dezember begonnenen Importbann auf russische Energie zusätzlichen konjunkturellen Gegenwind. Lediglich Japan, dessen Zentralbank weiterhin an der ultralockeren Geldpolitik «Zinskurvenkontrolle» festhält, konnte ein deutlich stärkeres Konjunkturmomentum aufweisen, sodass die japanische Wave um 6%-Punkte zulegen konnte.
Chinas COVID-Lockerungen könnten chaotisch werden
Trotz Lockerungsmassnahmen befindet sich die Chinesische Wave wieder in der Kontraktion. Die zuletzt restriktive COVID Politik dürfte eine wesentliche Rolle gespielt haben. Das schwindende Konjunkturmomentum sowie öffentliche Proteste der Bevölkerung für eine Lockerung der COVID-Massnahmen in einem historischen Ausmass, haben zu einem Umdenken der Regierung geführt. Zwar dürfte dies der chinesischen Wirtschaft und somit der Wave mittelfristig helfen; kurzfristig könnte der ökonomische Schaden jedoch noch grösser werden. In Anbetracht steigender Infektionen, fehlender Intensivstationsbetten und einer niedrigen Impfquote innerhalb der älteren Bevölkerung drohen kurzfristig chaotische Zustände. Neben Asien verzeichnete insbesondere das im Jahr 2022 so robuste Lateinamerika den stärksten Verlust an Momentum.
10. Für eine detaillierte Modellbeschreibung unseres Konjunkturzyklusmodells «Wave» verweisen wir auf unser White Paper « Die Vescore Wave – ein überlegenes Konjunkturzyklusmodell » (85).
Aktien: Ausblick in der kurzen Frist weniger pessimistisch
Die abnehmende Unsicherheit am Aktienmarkt, die aus der rückläufigen Inflation und den immer noch robusten Wirtschaftsdaten resultiert, deutet auf einen weniger pessimistischen Ausblick der Marktteilnehmer hin. Dieser könnte sich allerdings in der ersten Jahreshälfte 2023 in Erwartung an weitere Zinserhöhungen der Fed und eine Rezession eintrüben.
Unser Aktienallokationsmodell hatte die taktische Aktiengewichtung im Dezember zwischenzeitlich auf 93% erhöht (Vormonat: 76,2%), innerhalb der letzten Woche allerdings wieder auf aktuell 77,3% gesenkt. Auf Monatssicht sind die positiven Allokationsbeiträge des Kreditrisiko-Spreads und des Zinsstruktur-Spreads gesunken. Letzterer stellt mit 34,9% den bedeutendsten Einzelbeitrag der Allokation dar. Im aktuellen Umfeld weisen die Dividendenrendite und der TED-Spread eine Short-Positionierung auf.
Anleihen: Unsicherheit bleibt hoch
Nach einem Jahr, in dem die Anleihenmärkte die schlechtesten Renditen aller Zeiten erzielten, kehrt aufgrund des nachlassenden Inflationsdruck ein wenig Optimismus zurück. Die Unsicherheit bleibt allerdings hoch. Auch wenn der MOVE Index nach der Fed-Sitzung Mitte Dezember zwischenzeitlich auf ein niedrigeres Niveau von 111 Basispunkten gesunken ist, verharrt er mit 120 Basispunkten weiterhin auf einem hohen Level. Als Reaktion auf die Fed-Sitzung stiegen auf dem Markt für Staatsanleihen zudem die Preise, was zu fallenden Renditen am langen Ende der Zinskurve führte.
Unser Modell zur Steuerung der Anleiheallokation hatte im Dezember die globale Anleihequote marginal erhöht. In der letzten Woche ist sie allerdings wieder gefallen und liegt derzeit bei einem Wert von -5%. Das Teil-Modell Carry11, mit dem wir die künftigen Bewegungen der Zinskurve prognostizieren, sieht weiterhin eine positive Positionierung vor. Die Momentum-Komponente12, die auf das Sentiment im Markt reagiert, sowie das Teil-Modell Mean Reversion13 zeigen als Reaktion auf das tiefere Zinskurven-Niveau eine Short-Allokation an.
11. Grundsätzlich unterstellen Carry-Strategien, dass sich die Zinskurve nicht bzw. nur in geringem Ausmass verändert.
12. Die Momentum-Komponente berücksichtigt, dass sich Zinskurven aufgrund wichtiger Ankündigungen der Zentralbanken und politischer Entscheide in kurzer Zeit sehr stark und nachhaltig verändern können.
13. Mean-Reversion-Strategien basieren auf der Intuition, dass die kurzfristigen Zinsen eine Konvergenz zu einem dynamischen Gleichgewicht aufweisen.