Vescore Global Market Outlook Oktober 2022
Quantitative Investments
Kurz und bündig
- Im aktuellen Risikoumfeld wird die Phase vor der Finanzkrise 2008 immer stärker gewichtet
- Der globale Konjunkturausblick hat sich erwartungsgemäss weiter eingetrübt
- Die aggressive Zinserhöhung der Zentralbanken führt zu pessimistischeren Aussichten am Aktienmarkt
- Am Anleihenmarkt gibt es nach wie vor keine Entspannung hinsichtlich der Inflation
- Unser Währungsmodell zeigt, dass der Euro gegenüber dem Franken weiterhin überbewertet ist
Verschwommene Erinnerungen an die 1980er-Jahre werden wach
Dass der geldpolitische Kurs der Fed über das Marktgeschehen bestimmt, dürfte ausser Frage stehen. Doch dass die Fed gewillt ist, das Wohlergehen der eigenen Wirtschaft dem Ziel der Inflationsbekämpfung unterzuordnen, ist neu. Zumindest für jeden, der die 1980er-Jahre nicht miterlebt hat. Sogar von Schmerzen, welche die US-Wirtschaft womöglich zu erleiden habe, war auf der jährlichen Sitzung der Zentralbanken in Jackson Hole im August die Rede.
Unsere quantitativen Modelle waren Anfang September entsprechend zu dem Schluss gekommen, dass die Schmerztoleranzgrenze bereits erreicht und ein geldpolitisches Umdenken nötig ist. Folglich wurden schlechte Nachrichten als gute Nachrichten interpretiert. Die Hoffnung, dass die «Schmerzen» bereits das Toleranzlimit der Fed erreicht haben, wurde jedoch auf der geldpolitischen Sitzung der Fed im September im Keim erstickt. Bis zum Jahresende will die US-amerikanische Zentralbank ihren Zinserhöhungszyklus fortsetzen und im Anschluss den Leitzins für längere Zeit unverändert lassen. Von einer Drosselung der Bilanzkürzung wurde nicht einmal gesprochen. Die Märkte reagierten geschockt, der Tiefpunkt des gegenwärtigen Bärenmarktes aus dem Juni wurde in den Tagen darauf durchbrochen. Mittlerweile notieren die Aktienmärkte auf den tiefsten Niveaus seit November 2020.
Grund für den veränderte geldpolitischen Kurs der Zentralbanken ist die Neubewertung von «Inflation». Seit der Finanzmarktkrise hatte die Geldmarktpolitik eine Erhöhung der Inflation als Ziel, hat Inflation also positiv bewertet. Seit diesem Jahr wird die Inflation jedoch als negativ betrachtet. Die Zentralbanken setzen folglich nun alles daran, die Preissteigerungen im Zaum zu halten. Dies ruft Erinnerungen an die 1980er-Jahre hervor, in denen unter Paul Vocker ein beispielsloser Kampf gegen die Inflation geführt wurde. Auch Volcker sah nach einer Dekade, in der die Inflation zumindest achselzuckend hingenommen wurde, Inflation als schädlich an. Er sorgte in der Folge mit einer aggressiven Geldpolitik für eine tiefe Rezession der amerikanischen Wirtschaft. Problematisch ist hierbei, dass dies inzwischen schon vierzig Jahre zurückliegt und seitdem jeder Konjunkturzyklus mit tieferer Inflation und Leitzinsen geendet hat. Dies hat auch in den quantitativen Modellen nach und nach dazu geführt, dass Inflation als Einflussvariable an Einfluss verloren hat.
Seit Mitte September nehmen unsere Modelle jedoch das immer wahrscheinlicher werdende Abwürgen der US-Wirtschaft über die gestiegenen Ausfallwahrscheinlichkeiten wahr. Entsprechend sieht auch unser Konjunkturzyklusmodell Wave nicht nur die US-, sondern auch die globale Wirtschaft wieder in die «Kontraktion» abrutschen. Unser Aktienallokationsmodell hat dahingegen die in Kauf genommenen Risiken stark heruntergefahren und trägt den durch die höheren Rezessionsrisiken gestiegenen Ausfallwahrscheinlichkeiten im Unternehmensbereich (Kreditrisiko-Spread) und Bankensektor (TED Spread) Rechnung. Auf der Anleihenseite spricht das erhebliche «Mean Reversion» Potential zwar für eine künftig steigende Attraktivität von Anleihen; das stark negative Momentum signalisiert jedoch, dass die Renditen kurzfristig noch weiter steigen könnten und drosselt die Anleihenduration. Die Marktvolatilität dürfte demzufolge, wie von unserem Risikomodell SDRM signalisiert, weiter hoch bleiben und der Bärenmarkt seinen Boden noch nicht gefunden haben.
Möchten Sie weitere spannende Einblicke in unser hauseigenes Konjunkturmodell erhalten? Dann registrieren Sie sich jetzt für unseren monatlichen Wave Call.
Risikoumfeld: Phase vor Finanzkrise 2008 gewinnt weiter an Bedeutung
Im September gewichtete unser hauseigenes Risikomodell State-dependent Risk Measurement (SDRM) , mit dem wir historische Volatilitätscluster identifizieren, die der aktuellen Marktsituation ähneln, die Phase vor der Finanzkrise 2008 immer stärker . Bei den 50 ähnlichsten Tagen stechen insbesondere Daten in den Monaten November und Dezember 2007 hervor. Dies heisst im Umkehrschluss, dass das derzeitige finanzielle Marktumfeld ähnliche Marktrisiken aufweist wie die identifizierte Periode im historischen Finanzmarkt.
Neben den Monaten im Spätherbst und Winter des Jahres 2007 weisen zudem Marktphasen vor dem Jahr 1990 starke Ähnlichkeit zum heutigen Marktumfeld auf. Das Jahr markierte den Beginn einer Konjunkturkrise in den USA, die durch eine Schieflage im internationalen Währungssystem sowie steigende Ölpreise und Inflationsraten gekennzeichnet war. Damals erhöhte die Fed die Zinsen, was in Anbetracht des fallenden Konjunkturoptimismus sowie überbewerteter Aktien- und Immobilienmärkte in eine Kreditkrise sowie eine lange Rezession mündete.
Die aktuelle Unsicherheit am Markt kommt laut unserer Einschätzung nach wie vor hauptsächlich aus dem Anleihenmarkt. Hier gewinnt neben den genannten historischen Volatilitätsclustern auch die Zeit der Russland- und Asienkrise im Jahr 1998 an Bedeutung. Im derzeitigen Umfeld wird die Unsicherheit am Anleihenmarkt insbesondere durch die restriktive Geldpolitik der Zentralbanken und damit einhergehend den Zinsbewegungen verstärkt. Dies spiegelt sich auch im MOVE Volatilitätsindex wider, der derzeit in einer Bandbreite von 140 bis 158 Basispunkten schwankt.
Auch am Aktienmarkt ist nach der kurzzeitigen Erholung im August die Unsicherheit wieder angestiegen. Die Aktienvolatilität, die mithilfe des VIX gemessen wird, verzeichnete im Laufe des Monats September einen Anstieg von 19 auf derzeit 32 Punkte. Ausschlaggebend hierfür sind die Spillover-Effekte der Inflation und steigender Zinsen auf die Anlagerenditen, aber auch deren kontraktive Effekte auf die Gesamtwirtschaft.
Makroökonomisches Umfeld: Zentralbanken nehmen Rezession in Kauf
Der globale Konjunkturausblick hat sich erwartungsgemäss weiter eingetrübt. Zwar signalisiert die globale Wave seit Ende Juni eine Konjunkturerholung, die auf die weltweit zurückgehenden Lieferengpässe sowie Lockerungen von COVID-Restriktionen zurückzuführen ist. Gleichzeitig rutscht allerdings eine steigende Anzahl von Ländern in die «Kontraktion» ab. Mittlerweile befinden sich bereits 52% der von uns untersuchten 50 Volkswirtschaften wieder in der «Kontraktion». Folglich flacht die von der Wave signalisierte Erholung zunehmend ab.
Schmerzhafte US-Geldpolitik
Sogar die sonst so robuste US-Konjunktur, die noch im August eine deutlich verbesserte Stimmung des Dienstleistungssektors und des verarbeitenden Gewerbes verzeichnete, ist nun in die «Kontraktion» abgerutscht. Insbesondere der aggressivste Zinserhöhungszyklus der Fed seit den 1980er-Jahren belastet das Konsumentenvertrauen. Der weiterhin ausgesprochen robuste US-Arbeitsmarkt ¬ derzeit gibt es doppelt so viele offene Stellen wie Arbeitssuchende ¬ und eine lediglich langsam rückläufige Inflation wecken Erinnerungen an Paul Volcker, dessen aggressive Zinserhöhungen die Inflation über eine Rezession am Anfang der 1980er-Jahre erstickte. Dieser Vergleich wird genährt durch die Haltung des derzeitigen US-Zentralbankchefs Jerome Powell, der auf dem jährlichen Zentralbanktreffen in Jackson Hole vor «Schmerzen für die Wirtschaft» warnte.
Der kranke Mann Europa
Noch grössere Schmerzen muss derzeit die Eurozone erleiden: Die hohe Energieabhängigkeit von Russland, steigende Renditen und die damit einhergehenden Risiken im Zusammenhang mit der Schuldentragfähigkeit der Peripherie belasten nicht nur das Investitionsverhalten von Unternehmen, sondern auch den privaten Konsum. Sowohl die Haushalte als auch die Unternehmen werden zudem durch die sehr stark steigenden Energiekosten überproportional belastet. Daher ist es nicht überraschend, dass nahezu die gesamte Verschlechterung der Wave und somit der Konjunktur in den Industrieländern auf Europa zurückzuführen ist.
Chinas «blasse» Konjunkturerholung
Diejenigen asiatischen Länder, die sich fern von der Energiekrise befinden (Japan, Australien, Neuseeland und asiatische Schwellenländer), verzeichnen hingegen ein deutlich besseres Momentum der Konjunktur. Insbesondere in China stehen die Vorzeichen auf Erholung. Grund dafür sind die Bestrebungen Pekings, die Immobilienkrise mithilfe einer geld- und fiskalpolitischen Expansion zu bekämpfen. Positiver Nebeneffekt sind anziehende Einzelhandelsumsätze, Industrieproduktion und Investitionen. Allerdings lässt die weiterhin schwelende Immobilienkrise die chinesische Erholung derzeit blass erscheinen.
Aktien: Marktumfeld mit grosser Unsicherheit behaftet
Das Marktumfeld für globale Aktien ist mit grosser Unsicherheit behaftet. Im Laufe des Septembers hat unser Aktienallokationsmodell darum die taktische Aktiengewichtung von 35,7% im Vormonat auf -19.4% gesenkt. Die negative Allokation in Aktien wird massgeblich durch die aggressive Zinserhöhung der Zentralbanken und Rezessionsängste getrieben, die in den letzten Wochen zu pessimistischeren Aussichten führten.
Die Reduktion der Aktienquote spiegelt sich in allen makroökonomischen Variablen (Dividendenrendite, Zinsstruktur-Spread, TED Spread und Kreditrisiko-Spread) wider, mit denen sich der aktuelle Konjunkturzyklus approximieren lässt. Insbesondere der Rückgang der Dividendenrendite liefert Hinweise darauf, dass die Wachstumserwartungen der Marktteilnehmer zurückgehen.
Auch der Kreditrisiko-Spread, der das Vertrauen der Marktteilnehmer in die Solvenz von Unternehmen sowie deren Refinanzierungsmöglichkeiten erfasst, ist im letzten Monat nach einem kurzzeitigen Rückgang wieder angestiegen. Diese steigenden Risikoaufschläge sind auf den direkten Einfluss der sich weiter eintrübenden Konjunktur zurückzuführen.
Anleihen: Keine Entspannung hinsichtlich Inflation
Der Anleihenmarkt verzeichnet keine Entspannungen hinsichtlich der Inflation und daraus möglicherweise resultierender weiterer Zinserhöhungen. Dies spiegelt sich auch in der Volatilität wider, gemessen anhand des MOVE Index: Sie liegt weiterhin auf hohem Niveau und ist im letzten Monat noch weiter angestiegen. Unser Modell zur Steuerung der Anleihenallokation hat darum im letzten Monat die Anleihenduration deutlich reduziert. Sie liegt aktuell bei -0,5 Jahre.
Der restriktive Kurs der Fed bei der Bekämpfung der hartnäckigen Inflation schlägt sich in einer aggressiven Geldpolitik nieder. Dies führt dazu, dass das kurze Ende der Zinskurve stärker steigt als das lange. Die Zinskurve wird entsprechend flacher und auch der Zinsstruktur-Spread kommt weiter runter. Beides sind Indikatoren für eine schwache wirtschaftliche Entwicklung. In der Folge sinkt auch die Carry-Komponente1 unseres Modells, mit der wir die künftigen Bewegungen der Zinskurve prognostizieren.
Das lange Ende der Zinskurve bewegt sich derzeit im historischen Mittel. Dies heisst im Umkehrschluss, dass sich das kurze Ende nach unten bewegen muss, damit die Zinskurve zu ihrem dynamischen Gleichgewicht zurückkehrt. Entsprechend hat die Mean-Reversion-Komponente2 des Modells in diesem Monat auf long gedreht. Das bedeutet, dass das Modell am vorderen Ende der Zinskurve attraktivere Renditen erwartet.
Die Momentum-Komponente3, die auf das Sentiment im Markt reagiert, bewertet Anleihen am aktuellen Rand hingegen negativ. Dies ist primär auf die erwarteten Zinserhöhungen zurückzuführen. Der Markt sieht derzeit die Chancen schwinden, dass die Zentralbanken ihren Zinserhöhungspfad in den ersten beiden Quartalen 2023 verlassen werden. Die Momentum Short-Position ist im September dementsprechend grösser geworden. In Bezug auf verschiedene Länderallokationen werden derzeit alle Länder ausser Italien short allokiert.
1. Grundsätzlich unterstellen Carry-Strategien, dass sich die Zinskurve nicht bzw. nur in geringem Ausmass verändert.
2. Mean-Reversion-Strategien basieren auf der Intuition, dass die kurzfristigen Zinsen eine Konvergenz zu einem dynamischen Gleichgewicht aufweisen.
3. Die Momentum-Komponente berücksichtigt, dass sich Zinskurven aufgrund wichtiger Ankündigungen der Zentralbanken und politischer Entscheide in kurzer Zeit sehr stark und nachhaltig verändern können.
Aktuelles Thema: Krieg in der Ukraine beeinflusst die Währungsbewertung
Als damaliger Währungsanalyst erinnere ich mich noch gut an den 15. Januar 2015. Es war der Tag, an dem die SNB die Frankenuntergrenze von 1.20 gegenüber dem Euro aufgehoben hatte. Als der Frankenwechselkurs innerhalb von Minuten auf unter Parität absackte, sass nicht nur ich erstaunt in einem Meeting; es ging auch ein lauter Aufschrei durch die gesamte Wirtschaft.
Mittlerweile, rund sieben Jahre später, befindet sich der Frankenwechselkurs wieder dort, wohin er 2015 kurzzeitig absackte: bei 0.95 per Euro. Im Gegensatz zu damals ist jedoch keine Empörungswelle aus der Wirtschaft zu vernehmen. Eine Beobachtung, die sich auch in den KOF Unternehmensumfragen 4 widerspiegelt. Aber warum beurteilen die Akteure die Wirtschaftslage diesmal anders und was sind die Argumente für den schwachen Euro?
Starker Anstieg der Produzentenpreise in der Eurozone
Um diese Fragen zu beantworten, bediene ich mich der Daten unseres Wechselkursmodells. Es beinhaltet drei verschiedene Bausteine, wobei eine dieser Komponenten die Bewertung5 ist. Die Bewertung erfasst die Wettbewerbsfähigkeit von Volkswirtschaften anhand verschiedener Indikatoren. Einer dieser Indikatoren sind die Produzentenpreise, die mehrheitlich aus leicht handelbaren Gütern bestehen und die sich dazu eigenen, die Änderungen der Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich zu berechnen.
Seit Beginn des Ukraine Krieges deuten die stark steigenden Produzentenpreise, welche die Auswirkungen dieses makroökonomischen Schocks besonders gut antizipieren, auf einen sinkenden europäischen Wettbewerbsvorteil hin. Dieser Verlust fällt in der Eurozone wesentlich höher aus als in anderen Regionen und Ländern. Aber warum ist das so?
Euroabwertung kompensiert für Wettbewerbsverlust
Einerseits ist Europa durch die Angebotsverknappung von russischem Gas stärker betroffen als die USA und die Schweiz. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Schweiz einen besseren Energiemix aufweist und die USA kein Nettoimporteur von Öl mehr sind. Anderseits ist der Anteil des verarbeitenden Gewerbes und die Exportabhängigkeit in der Eurozone höher als in den genannten Ländern, was einen höheren Endverbrauch der Wirtschaft impliziert. Berücksichtigt man den Kosteneffekt, kommt unser Modell zu der Schlussfolgerung, dass der Euro zum Dollar derzeit fair und gegenüber dem Franken weiterhin überbewertet ist.
Konjunkturmomentum in der Eurozone könnte sich weiter eintrüben
Während die Währungsbewertung langsam für attraktive Einstiegsniveaus spricht, raten zyklische Faktoren noch zur Zurückhaltung. Insbesondere weitere Energielieferengpässe und ein kalter Winter könnten das bereits schwache Konjunkturmomentum der Eurozone weiter eintrüben und die Handelsbilanz, welche sich erstmalig seit 2012 im Defizit befindet, weiter belasten. Der Höhepunkt der Unsicherheit – auch bezüglich weiterer aggressiver Zinserhöhungen der Fed – könnte jedoch in den kommenden Monaten erreicht sein und den Modellausblick für den Euro deutlich verbessern.
4.
Siehe https://kof.ethz.ch/umfragen/konjunkturumfragen.html.
5. Neben der Bewertung fliessen als weitere Bausteine auch technische (Trend) sowie zyklische Faktoren (Wave, Aussenhandel und relative Geldpolitik) in das Modell ein.